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Archäologie

Amerika: Erste Menschen schon vor 30.000 Jahren?

KI-System bestätigt Ritzspuren an eiszeitlichen Tierknochen aus Uruguay als menschengemacht

Arroyo
In dem nahe der urugayischen Hauptstadt Montevideo liegenden Arroyo del Vizcaino haben Archäologen 30.000 Jahre Schnittspuren an Knochen gefunden, die menschengemacht sein könnten. © lanm35/ Getty images

Das Rätsel vertieft sich: Eine künstliche Intelligenz liefert neue Argumente dafür, dass die ersten Menschen schon vor mehr als 30.000 Jahren den amerikanischen Kontinent erreichten – weit früher als lange gedacht. Das KI-System kommt ähnlich wie einige Archäologen zu dem Schluss, dass einige Ritzspuren an 30.000 Jahre alten Tierknochen aus Uruguay menschlichen Ursprungs sind. Demnach müssten dort schon lange vor dem Ende der letzten Eiszeit Menschen präsent gewesen sein.

Wann die ersten Menschen den amerikanischen Kontinent besiedelten, ist ebenso unklar wie umstritten. Lange glaubte man, dass dies erst vor rund 13.000 Jahren möglich wurde, als ein eisfreier Korridor im Inlandeis Nordamerikas entstand. Doch seither haben Archäologen einige weit ältere Spuren früher Ureinwohner entdeckt, darunter mehr als 30.000 Jahre Steinwerkzeuge in der mexikanischen Chiquihuite-Höhle, 24.000 Jahre alte Klingenspuren an Tierknochen aus Alaska, 30.000 Jahre alte Schnittspuren aus Uruguay und sogar 130.000 Jahre alte Bearbeitungsspuren an fossilen Mastodonknochen.

Menschengemacht oder erosionsbedingt?

Das Problem jedoch: Gerade die Interpretation von einfachen Kerben oder anderen Spuren an Knochen ist hochgradig unsicher und subjektiv. Neben menschlicher Bearbeitung beispielsweise beim Entbeinen der Jagdbeute können auch Umweltfaktoren ähnliche Schäden hinterlassen, unter anderem wenn Knochen von Wasser gegen Steine geschleudert werden oder von Tieren zertrampelt. Ob es sich bei solchen Relikten tatsächlich um Spuren des Menschen handelt, ist daher strittig.

Dies gilt auch für die Funde aus dem in Uruguay. Dort haben Archäologen hunderte Tierknochen aus der Zeit vor rund 33.000 Jahren entdeckt, von denen einige „verdächtige“ Schnittspuren aufweisen. Auch einige mögliche Steinwerkzeuge wurden gefunden. „Dabei handelt es sich um Abschläge aus verkieseltem Sandstein und einem kleinen Stück Silcret, das als Schaber identifiziert wurde“, berichten Manuel Dominguez-Rodrigo vom Institut für afrikanischen Evolution in Madrid und seine Kollegen.

Neuronales Netzwerk als „unparteiischer“ Experte

Nachdem menschliche Experten zumindest einige der Ritzspuren in den Knochen als menschengemacht interpretiert hatten, haben Dominguez-Rodrigo und sein Team nun eine weitere Meinung eingeholt – von einer künstlichen Intelligenz. Dafür nutzten sie einige auf neuronalen Netzwerken beruhende Systeme, die bereits zuvor darauf trainiert worden waren, Schnittspuren verschiedenen Ursprungs zu unterscheiden.

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„Diese Netzwerke haben in Klassifikationstests zwischen 94,3 und 97,9 Prozent korrekte Einstufungen erreicht“, so die Forscher. Für ihre Studie ließen sie ein Ensemble dieser KI-Systeme 20 Schnittspuren an den Tierknochen aus dem Arroyo del Vizcaino bewerten. Von diesen hatten Archäologen zuvor sieben als potenziell menschengemacht und 13 als Erosionsspuren eingestuft.

KI bestätigt Schnittspuren als menschengemacht

Das Ergebnis: Die neuronalen Netze stuften acht der Knochenspuren als menschengemacht ein – vier davon mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 90 Prozent, die restlichen mit mehr als 75 Prozent Wahrscheinlichkeit. „Diese hohen Werte stützten die Annahme, dass diese Bearbeitungsspuren einige der älteste Belege für die Präsenz des Menschen in Südamerika sein könnten“, konstatieren Dominguez-Rodrigo und seine Kollegen.

Für einen anthropogenen Ursprung der Schnittspuren spricht ihren Angaben nach auch, dass diese Schnitte an spezifischen Stellen sitzen: „Die Analyse der anatomische Verteilung der Schnittspuren zeigt räumliche Assoziationen mit Muskelansatzstellen“, berichten die Archäologen. So sitzt ein Schnitt im Nacken eines Tieres, ein anderer am Ansatz der Vorderbeinmuskeln. Solche Schnitte seien typisch für das Zerlegen eines Tieres beim Schlachten.

Besiedlung schon vor dem Höhepunkt der letzten Eiszeit?

Nach Ansicht von Dominguez-Rodrigo und seiner Kollegen sind die Funde aus dem Arroyo del Vizcaino damit einige der ältesten Belege für die Bearbeitung von Großtier-Relikten durch den Menschen in Südamerika. „Das deutet auf die Präsenz von Menschen in dieser Gegend schon vor dem Höhepunkt der letzten Eiszeit hin“, konstatiert das Team. Auf welchem Wege diese Menschen damals nach Südamerika gelangten und welcher Population sie angehörten, ist allerdings nach wie vor rätselhaft.

Dennoch tragen diese Knochenspuren und ihre Interpretation zur wachsenden Zahl von Funden bei, die die Ankunft der ersten Menschen erst nach Ende der Eiszeit in Frage stellen. (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2021; doi: 10.1098/rspb.2021.0711)

Quelle: Royal Society

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