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Alpen: Erosion überrascht Forscher

Abtragung des Gebirges folgt anderen Regeln als erwartet

Alpen
Die Erosion verläuft in den Alpen teilweise ganz anders als bislang gedacht. © Universität Bern/ Unsplash

Verblüffend anders: Die Alpen wachsen teilweise überraschend schnell in die Höhe, gleichzeitig verhält sich die Erosion ganz anders als erwartet, wie eine alpenweite Erosionsstudie enthüllt. Denn die Abtragung ist nicht dort am höchsten, wo der Untergrund weich ist, sondern im harten Fels. Steile Hänge sind jedoch überraschend wenig anfällig. Zudem spielen Niederschläge und Gesteinstyp eine geringere Rolle als bislang angenommen, wie die Forscher berichten.

Ob ein Gebirge in die Höhe wächst oder im Laufe der Zeit abgetragen wird, hängt von mehreren Faktoren ab. Zum einen treibt der Druck kollidierender Erdplatten die Berge in die Höhe, im Falle der Alpen ist dies die anhaltende Kollision der afrikanischen mit der Eurasischen Platte. Dieser Hebung wirken das Gewicht der Berge und die Erosion entgegen. Wie hoch der Anteil der Abtragung allerdings bei den verschiedenen Gebirge ist und wovon sie abhängt, ist allerdings strittig.

Beryllium als Erosions-Anzeiger

Wie die Erosion in den alpen aussieht, haben deshalb nun Romain Delunel von der Universität Bern und seine Kollegen in einer der umfassendsten Studien dazu untersucht. Dafür analysierten sie an 375 Bächen und Flüssen im Alpenraum den Anteil des Isotops Beryllium-10 im Sediment. Dieses Isotop entsteht unter dem Einfluss kosmischer Strahlung und kann daher verraten, wie lange ein Gesteinskörnchen an der Oberfläche lag.

Je schneller ein Sedimentkörnchen von der Erosion abgetragen und weggespült wurde, desto weniger Berllium-10 enthält es. Weil dieser Wert im Flusssediment weitgehend stabil bleibt, spiegelt der Isotopenwert der Sedimentproben Gebirge daher die Abtragungsraten wider. „Mit dieser Strategie können wir zum ersten Mal ein Bild über die Erosion der gesamten Alpen entwerfen und herausfinden, wovon die Abtragung abhängt“, sagt Delunel.

Niederschläge wirken anders als gedacht

Die Auswertung der Daten erbrachte gleich mehrere Überraschungen. Eine davon: Zwar haben lokale und regionale Studien aus einigen Gebirgen gezeigt, dass das Klima und besonders der Niederschlag die Erosionsraten beeinflusst: Je mehr es regnet, desto mehr Wasser strömt die Hänge hinab und trägt Boden mit sich fort. „Doch für die gesamten Alpen ist dieser Zusammenhang schwach oder nicht existent“, berichten die Forscher.

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Stattdessen scheint die Abtragung in den Alpen unterhalb einer bestimmten jährlichen Niederschlags-Schwelle weitgehend unabhängig von Regen und Wasserabfluss zu sein. Erst ab mehr als 2.100 Millimeter Regen pro Jahr kommt es zu einem steilen Anstieg der Erosionsraten, wie Delunel und sein Team herausfanden.

Mehr Erosion im harten Fels

Ebenfalls unerwartet: Entgegen den Annahmen scheinen der Gesteinstyp und die Beschaffenheit des Untergrunds ebenfalls eine untergeordnete Rolle zu spielen. Teilweise verhalten sie sich sogar komplett anders als sie eigentlich müssten: „Die mit 250 Millimeter pro Jahrtausend niedrigsten Abtragungsraten haben wir für sedimentreiche Gebiete am Alpenfuß gefunden, wo das Sediment eigentlich besonders erosionsanfälllig sein müsste“, berichten die Forscher.

Besonders hoch war die Abtragung dagegen in den zentralen Alpenbereichen, in denen freiliegender Fels wie Gneis und Granit vorherrschen. „Diese Untergrundgesteine gelten aber als besonders widerstandsfähig gegen die Erosion“, so Delunel und seine Kollegen. Auf der Suche nach einer Erklärung für diese Diskrepanz untersuchten sie als nächstes, ob möglicherweise die Hangneigung eine Rolle spielt.

Hangneigung mit überraschender Wirkung

Tatsächlich wurden die Forscher fündig: Die vergleichenden Analysen ergaben, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Steigung und der Erosion gibt. So steigt bei geringeren Hangneigungen die Abtragung zunächst linear mit der Steigung. Das erklärt, warum das flacheren Alpenvorland trotz seines weicheren Untergrunds weniger stark erodiert. Ab 25 Grad Hangneigung kommt es dann zu einer nichtlinearen Zunahme der Erosion, die bei rund 30 Grad Neigung ihre höchsten Werte mit 700 bis 750 Millimeter pro Jahrtausend erreicht.

Darüber aber, in noch steilerem Gelände, sinkt die Abtragung wieder deutlich ab. „Das war eine weitere Überraschung, denn wir dachten, dass ein sehr steiles Gelände sehr schnell abgetragen wird“, sagt Delunel. „Weshalb das nicht der Fall ist, wissen wir noch nicht. Daher sehen wir Bedarf nach weiterer Forschung.“

Mehr Hebung als Abtragung

Insgesamt ergaben die Auswertungen, dass die Abtragung im alpenweiten Schnitt zwar bei rund 400 Millimeter pro Jahrtausend liegt, sich aber regional stark unterscheidet. Vor allem in den Zentralalpen aber liegt die Erosion immer deutlich unter der Hebung des Gebirges. „Das ist eine große Überraschung, denn bis jetzt sind wir davon ausgegangen, dass Abtragung und Hebung ungefähr gleich schnell ablaufen“, sagt Delunels Kollege Fritz Schlunegger.

In den Zentralalpen liegt der Unterschied zwischen Hebung und Abtragung sogar bei rund 800 Millimeter pro Jahrtausend. „Damit wachsen die Zentralalpen, und zwar überraschend schnell“, so Schlunegger. In den Westalpen sind Abtragung und Hebung dagegen im Gleichgewicht, in den Ostalpen erfolgt die Abtragung sogar schneller als die Hebung. (Earth Science Reviews, 2020; doi: 10.1016/j.earscirev.2020.103407)

Quelle: Universität Bern

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