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Archäologie

Ältester Homo sapiens Europas entdeckt

45.000 Jahre alte Funde in bulgarischer Höhle belegen frühe Präsenz unserer Vorfahren

Bacho-Kiro-Höhle
In dieser Höhle in Bulgarien haben Wissenschaftler die bislang ältesten Relikte des Homo sapiens in Europa gefunden. © Tsenka Tsanova/ MPI für für Evolutionäre Anthropologie, CC-BY-SA 2.0

Frühe Ankunft: In einer Höhle in Bulgarien haben Forscher die ältesten eindeutig datierten Relikte des Homo sapiens in Europa entdeckt. Die Knochen, Zähne und Werkzeuge belegen, dass unsere Vorfahren schon vor mehr als 45.000 Jahren in Europa präsent waren, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Gleichzeitig enthüllen die Funde, dass eine zuvor den Neandertalern zugeordnete Werkzeugtechnik vom Homo sapiens entwickelt wurde.

Vor rund 45.000 Jahren begann der große Umbruch in Europa: Der gut 250.000 Jahre lang dominierende Neandertaler verschwand allmählich, statt seiner breitete sich der neu aus Afrika und dem Nahen Osten eingewanderte Homo sapiens aus – unser Vorfahre. Doch wann genau unsere Spezies Europa erreichte und sich dort etablierte, ist aus Mangel an Funden unklar.

Als bislang ältestes Relikt eines europäischen Homo sapiens galt ein knapp 41.000 Jahre alter Kieferknochen aus der Pestera cu Oase, einer Höhle in Rumänien. Die DNA dieses Mannes zeugte zudem davon, dass sein Ur-Ur-Opa ein Neandertaler war.

Entdeckung im Höhlengrund

Doch nun haben Forscher um Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig noch ältere Überreste des Homo sapiens entdeckt – in einer Höhle in Bulgarien. Die rund 70 Kilometer südlich der Donau gelegene Bacho-Kiro-Höhle ist schon seit den 1970er Jahren als Fundstätte steinzeitlicher Relikte bekannt. Seit 2015 führen Hublin und sein Team dort neue Ausgrabungen durch.

Dabei stießen sie auf eine Schicht mit reichen Funden: Mehr als 2.000 steinzeitliche Werkzeuge, tausende Tierknochen mit Bearbeitungsspuren sowie einen Zahn und einige Knochenfragmente menschlicher Herkunft förderten die Forscher bei den Ausgrabungen zutage.

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Funde stammen vom Homo sapiens

Doch von welcher Menschenart stammten diese Relikte? Die Knochen waren so stark fragmentiert, dass dies allein an der Form nicht zu erkennen war, wie die Forscher berichten. Um Klarheit zu schaffen, isolierten sie sowohl Kollagen als auch genetisches Material aus den Knochenfragmenten und unterzogen diese Proben einer Protein- und DNA-Analyse. Durch Abgleich der mitochondrialen Genomsequenzen konnten sie die Artzugehörigkeit der Knochen bestimmen.

Das Ergebnis: „Alle aus der Bacho-Kiro-Höhle isolierten mitochondrialen Genome liegen innerhalb der Bandbreite des Homo sapiens“, berichten Hublin und sein Team. Damit ist klar, dass es unsere Vorfahren waren, die in dieser Höhle ihre Spuren hinterlassen haben.

Etabliert schon vor 45.000 Jahren – mindestens

Aber wann war dies? Um das herauszufinden, unterzog ein zweites Team um Hublins Kollegin Helen Fewlass mehrere Tierknochen und die menschlichen Knochenstücke einer Radiokarbondatierung. „Dies liefert uns ein sehr klares Bild darüber, wann der Homo sapiens diese Höhle bewohnte“, so die Forscherin. Die Radiokarbondaten aus der Bacho-Kiro-Höhle seien der größte Datensatz, der je von einer altsteinzeitlichen Fundstelle erhoben wurde und zugleich der präziseste.

Die Datierung ergab: Die Relikte sind zwischen 45.820 und 43.650 Jahre alt. Einige Werkzeuge aus der Höhle könnten sogar bis zu 47.000 Jahre alt sein. „Dies ist der älteste direkte Beleg für die Präsenz unserer Spezies im altsteinzeitlichen Europa“, sagen Fewlass und ihr Team. Damit ist klar, dass unsere Vorfahren schon vor mindestens 45.000 Jahren Europa erreicht hatten – mehrere tausend Jahre früher als es die Funde in der rumänischen Höhle bislang nahelegten.

STeinwerkzeuge
Steinwerkzeuge aus der Bacho-Kiro-Höhle. © Tsenka Tsanova/ MPI für für Evolutionäre Anthropologie, CC-by-sa 2.0

Vom wem stammen die Werkzeuge?

Diese frühe Präsenz des Homo sapiens beantwortet eine weitere Frage: Schon seit längerem rätseln Wissenschaftler darüber, von wem die Steinwerkzeuge stammen, die an vielen Fundstätten aus dieser Zeit geborgen wurden. Einige scheinen von Neandertalern zu stammen, wie Knochenfunde vom gleichen Ort belegen, bei anderen dagegen ist der Ursprung weniger eindeutig. Die unzähligen Werkezuge und Artefakte aus der Bacho-Kiro-Höhle liefern nun eine Antwort.

„Das Bemerkenswerte an den Funden ist die umfangreiche Ansammlung von Knochenwerkzeugen und persönlichen Schmuckgegenständen“, berichtet Hublins Kollege Geoff Smith. Neben Schabern, Aalen und anderen Werkzeugen fanden die Forscher mit Ocker gefärbte Gegenstände, eine Elfenbeinperle sowie mehrere mit Ritzungen verzierte Anhänger aus Höhlenbären-Zähnen. Die Machart dieser Artefakte ähnelt stark der bisher dem Neandertaler zugeordneten Technik des sogenannten Initial Upper Paleolithic (IUP), der Übergangszeit zwischen der Ära der Neandertaler und dem vom Homo sapiens geprägten Jungpaläolithikum.

Neandertaler guckten beim Homo sapiens ab

Doch im Fall der Bacho-Kiro-Höhle ist klar, dass nicht der Neandertaler, sondern der Homo sapiens diese Werkzeuge und Artefakte hergestellt haben muss. „Das bestätigt, dass unsere Vorfahren für einen Großteil dieser ‚modernen‘ Kreationen verantwortlich waren, sagt Koautorin Shara Bailey von der New York University. „Die Ähnlichkeiten zwischen diesen Funden und denen aus Neandertaler-Fundstätten müssen durch die Interaktion zwischen beiden Populationen entstanden sein.“

Mit anderen Worten: Die letzten Neandertaler guckten sich diese Techniken vom Homo sapiens ab. Denn gerade in Osteuropa lebten die beiden Menschenarten wahrscheinlich tausende Jahre in engem Kontakt miteinander. Es liegt daher nahe, dass sich beide Spezies auch kulturell beeinflussten.
Das erklärt, warum einige Gruppen dieser Frühmenschen noch kurz vor ihrem Verschwinden neue Formen der Werkzeugherstellung entwickelten. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2259-z; Nature Ecology & Evolution, 2020; doi: 10.1038/s41559-020-1136-3)

Quelle: Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, New York University

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