Der Magnetkompass der Zugvögel reift erst allmählich zu seiner späteren Form heran: Er ist bei Jungvögeln noch in beiden Augen lokalisiert, verlagert sich dann aber beim Heranwachsenden auf nur noch ein Auge. Das berichten deutsche Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the Royal Society B“. Diese Verlagerung der Orientierungsfunktion auf nur ein Auge entlastet eine Gehirnhälfte und hilft dabei, andere Sinneseindrücke schneller verarbeiten zu können.
Zugvögel wie das europäische Rotkehlchen (Erithacus rubecula) orientieren sich mithilfe eines Magnetkompasses in ihrem rechten Auge. Diese Verlagerung einer Hirnleistung auf nur eine Hemisphäre (Lateralisation) ist ein Prinzip, das sich in der Evolution mehrfach bewährt hat. So können Schimpansen, die bevorzugt eine Hand gebrauchen, erfolgreicher Termiten fangen; Tauben mit unterschiedlich spezialisierten Augen finden leichter Körner zwischen Kieselsteinen, und auch der Mensch verarbeitet Sprache hauptsächlich in der linken Gehirnhälfte. Auch bei der Wahrnehmung des Erdmagnetfelds durch die Zugvögel werden die Vorteile der Lateralisation genutzt – aber offenbar nicht von Geburt an, wie Wissenschaftler der Goethe-Universität und der Universität Bochum herausgefunden haben.
Kompass verlagert sich erst mit der Zeit
Das Team um die Frankfurter Vogelforscher Wolfgang und Rowitha Wiltschko untersuchten Jungvögel auf ihrem ersten Vogelzug, die im Garten des Frankfurter Zoologischen Instituts einen Zwischenstopp auf ihrem Weg nach Süden einlegten. Dabei stellten sie fest, dass Jungvögel sich bei ihrem ersten Zug mit Magnetsensoren in beiden Augen orientieren. Im darauf folgenden Frühling hatten die Jungvögel diese Fähigkeit schon auf das rechte Auge verlagert, es war aber noch flexibel: Deckten die Forscher das rechte Auge für sechs Stunden lang ab, wurde der Kompass im linken Auge zum Ausgleich wieder aktiv.
Beim nächsten Vogelzug im Herbst war die Lateralisation dagegen schon stärker auf das rechte Auge und damit die linke Hirnhälfte fixiert. Deckten die Wissenschaftler dann das rechte Auge ab, konnte das linke Auge die Rotungsfunktion nicht mehr übernehmen. Dies interpretieren die Forscher als einen Reifungsprozess, welcher der Leistungssteigerung des Gehirns dient: Da beide Augen die absolut gleiche Information über die Richtung des Erdmagnetfelds vermitteln würden, stehen so die entsprechenden Areale in der anderen Hirnhälfte für andere Aufgaben frei. (Proceedings of the Royal Society B, 2012; doi: 10.1098/rspb.2012.1654)
(Goethe-Universität, Frankfurt am Main, 31.08.2012 – NPO)