Russische Behörden haben den Kampf gegen Doping im eigenen Land offenbar aktiv verhindert. Zu diesem Schluss kommt die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in einem vertraulichen Bericht, der dem Fernsehsender ZDF vorliegen soll. Demnach gab es zumindest bis vor wenigen Monaten bei einer der erfolgreichsten Sportnationen der Welt erhebliche Probleme und Defizite im Dopingkontrollsystem.
Elf positive Fälle allein bei Wintersportlern
Die russische Dopingbilanz im letzten Jahr wirft einen Schatten auf Russlands Topathleten: Allein in den olympischen Winterdisziplinen sind elf positive Dopingfälle zu verzeichnen. Darunter Spitzensportler und Olympiasieger wie Jewgeni Dementjew und Julia Tschepalova. Besonders auffällig: Sie alle wurden
positiv bei Wettkampfkontrollen oder im Ausland getestet, nie jedoch bei überraschenden Trainingskontrollen daheim, die eigentlich das Kernelement des Anti-Doping-Kampfes darstellen.
Staatliche Stellen sollen die Arbeit internationaler Dopingkontrolleure auf russischem Gebiet massiv gestört haben. In dem WADA-Papier heißt es, dass Behörden „es ausländischen Dopingkontrolleuren (DCO’s) erschwerten, innerhalb des russischen Territoriums zu arbeiten“. Nach ZDF-Informationen wurden mehrfach Dopingproben von der russischen Polizei beschlagnahmt. Mindestens in einem Fall wurde ein Fahnder über mehrere Stunden in Arrest genommen. Nach dem Bericht habe man Ermittler dabei behindert, „Proben über die Grenzen ins Ausland zu bringen, Proben innerhalb der russischen Grenzen zu transportieren sowie ihre Dopingkontroll-Utensilien und Gerätschaften nach Russland ein- und auszuführen.“
„Nachlässigkeiten“ oder Schummeln mit System?
IOC-Präsident Jacques Rogge spricht in einem ZDF-Interview von „Nachlässigkeiten“ der russischen Behörden gegenüber illegalen Doping-Aktivitäten. Von einem staatlichen Doping-System in Russland könne allerdings nicht die Rede sein. „Nachlässigkeiten ja, aber das ist ein großer Unterschied zu der Behauptung, dass es ein staatlich organisiertes System gab“, so der IOC-Präsident in einem ZDF-Interview. Rogge selbst hat in den vergangenen Monaten die Defizite in Russlands Anti-Doping-Kampf bei Treffen mit führenden Regierungsvertretern angesprochen. Im vergangenen Oktober wurde dann die norwegische Anti-Doping-Agentur dem Verband in Russland beratend zur Seite gestellt.
Die jüngsten Enthüllungen lassen vermuten, dass die elf positiven russischen Dopingfälle in den Disziplinen Biathlon, Langlauf und Nordische Kombination nur die Spitze eines Eisbergs sind. Insofern stellen die staatlichen Einflussnahmen ein erhebliches Problem im Kampf gegen Doping dar. WADA-Generalsekretär David Howman wollte dem ZDF gegenüber die Kritik aus dem internen Papiere seines Verbandes nicht kommentieren.
(ZDF, 08.02.2010 – NPO)