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Neurobiologie

Wie Netzwerke im Gehirn entstehen

Forscher entschlüsseln wichtige Prinzipien der neuronalen Verdrahtung

Jede Gedanke des Menschen hängt von der genauen Verknüpfungsstruktur der Nervenzellen im Gehirn ab. Nicht nur während der Embryonalentwicklung, sondern während des ganzen Lebens, werden „Andockstellen“ neu gebildet und andere aufgelöst. Wie das genau passiert, war bisher noch nicht endgültig geklärt. Nun hat ein internationales Wissenschaftler-Team einige wichtige Prinzipien dieser neuronalen Verdrahtung entschlüsselt.

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Die Studie führt zu einem besseren Verständnis fundamentaler Prozesse der Gehirnentwicklung, wie auch der Reorganisation des Gehirns nach Verletzungen wie zum Beispiel nach einem Schlaganfall. Die Forscher Joshua Young und Klaus Obermayer von der Technischen Universität Berlin berichten zusammen mit Kollegen der Universität Sydney, der Universität Newcastle und des Nencki Institute in Polen in der Online-Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature Neuroscience über ihre Ergebnisse.

Das Gehirn ist ein komplexes Netzwerk aus Neuronen, die über elektrische Signale kommunizieren. Jedes Neuron erhält Signale von vielen anderen vorgeschalteten Neuronen, die es integriert und verrechnet, um dann selbst ein Signal auszusenden. Bisherige Studien zeigen, dass die Weitergabe von Signalen regelrecht geübt werden kann.

„Didaktische Reorganisation“

Wenn eine Zelle A einen Impuls aussendet, der in Zelle B eine Antwort auslöst, wird der Kontakt von der Zelle A zur Zelle B verstärkt. Die Verstärkung des Kontaktes zwischen den beiden Zellen führt wiederum dazu, dass Zelle B nun mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auf ein Signal der Zelle A antwortet. Durch diesen Prozess „lernt“ Zelle B das Aktivitätsmuster von Zelle A und übernimmt dieses. Wegen dieser einseitigen Übertragung von Aktivitätsmustern nennen die Wissenschaftler dieses Phänomen „didaktische Reorganisation“.

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Nach Verletzungen des Gehirns findet in der betreffenden Region eine massive Reorganisation statt. Die Wissenschaftler um Obermayer haben nun genauer untersucht, nach welchen Prinzipien sich Neurone im visuellen Kortex nach einer Verletzung in der Retina reorganisieren.

Aus der Reaktion der Neurone auf visuelle Reize nach einer Regenerationsphase konnten die Wissenschaftler Rückschlüsse auf deren Verknüpfungsstruktur ziehen. Sie fanden, dass Neurone ganzer Hirnbereiche ihre Kontakte in einer sehr gleichförmigen Weise umorganisiert hatten. Aus Vergleichen dieser experimentellen Daten mit denen aus Computermodellen konnten die Forscher eindeutig ableiten, dass diese gleichförmige Art und Weise der Neuverschaltung eine Folge „didaktischer Reorganisation“ ist.

Verlust von Input

Der Kortex ist die erste Verschaltungsebene im Gehirn, in der visuelle Signale, die auf die Retina fallen, auf Bildeigenschaften wie den Verlauf von Konturen hin analysiert werden. Bei einer Verletzung der Retina verlieren Neurone in einer kleinen, klar umrissenen Region des visuellen Kortex die entsprechenden Eingangssignale aus der Retina.

Durch diesen Verlust von Input antworten die Neurone umso stärker auf Signale von anderen ihnen vorgeschalteten Zellen, in der Regel benachbarte Kortex-Zellen, die noch direkte Signale aus der Retina erhalten. Wegen dieser verstärkten Empfindlichkeit der betreffenden Zellen lässt sich das Prinzip der didaktischen Reorganisation am Beispiel der neuronalen Regeneration nach einer Retinaverletzung besonders eindrücklich demonstrieren.

Das Wissenschaftlerteam unter Beteiligung des Bernstein Zentrums für Computational Neuroscience in Berlin geht davon aus, dass sowohl die Entstehung neuronaler Schaltkreise währende der Entwicklung des Gehirns als auch die verschiedenen Schritte der Regeneration den gleichen grundlegenden Prinzipien folgen. Die Ergebnisse der Wissenschaftler sind ein wesentlicher Schritt im Verständnis dieser Prozesse und bilden damit die Voraussetzung für die Entwicklung besserer Behandlungsmöglichkeiten von Hirnverletzungen.

(idw – Bernstein Centers for Computational Neuroscience, 29.05.2007 – DLO)

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