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Genetik

Wie die Wale ihre Beine verloren

Langsame Reduktion durch plötzliche Deaktivierung entscheidenden Gens abgeschlossen

Wale sind heute optimal an das Wasserleben angepasst, doch ihre Vorfahren lebten noch an Land. Wie verloren die Säuger ihre Beine und wurden zu den stromlinienförmigen Schwimmern, die sie heute sind? Wissenschaftler haben jetzt herausgefunden, dass vor 35 Millionen Jahren ein langer Schrumpfungsprozess der Hinterbeine durch eine plötzliche genetische Veränderung gekrönt worden ist.

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Eine internationale Forschergruppe unter der Leitung von Hans Thewissen, Professor für Anatomie an der Northeastern Ohio Universities College of Medicine nutzte Entwicklungsbiologische Daten der heute lebenden gefleckten Delphine sowie Fossilien urzeitlicher Wale um herauszufinden, welche genetischen Veränderungen dafür verantwortlich waren, dass Wale und Delphine ihre Hinterbeine „verloren“. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in der aktuellen Ausgabe der Proceedings of the National Academy of Sciences.

Vor mehr als 50 Millionen Jahren waren die Vorfahren der heutigen Wale und Delphine noch vierfüßige Landtiere – nicht unähnlich großen Hunden. Während der folgenden 15 Millionen Jahre wurden sie jedoch zu den stromlinienförmigen Wassertieren, die wir heute kennen. In einem dramatischen Beispiel evolutionsbedingter Veränderungen verloren sie dabei ihre Hinterbeine.

„Wir sehen an Fossilien, dass die Wale ganz klar an Land lebten – sie teilen sogar einen gemeinsamen Vorfahren mit Nilpferden, Kamelen und Hirschen“, erklärt Martin Cohn, Entwicklungsbiologe der Universität von Florida. „Ihr Übergang zu einem aquatischen Lebensstil ereignete sich schon lange bevor sie ihre Hinterbeine reduzierten. Während dieser Übergangsphase wurden ihre Extremitäten kleiner, aber sie behielten dennoch die gleiche Anzahl und Anordnung von Beinknochen wie ihre terrestrischen Vorfahren.“

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Abrupte Reduktion durch Gen-Deaktivierung

Die langsame Reduktion der Beine über diese 15 Millionen Jahre hinweg war, so erklären die Forscher, das Ergebnis von langsam akkumulierten genetischen Veränderungen. Diese setzten relativ spät in der Embryonalentwicklung ein. Aber der komplette Verlust der Beine geschah durch eine plötzliche Veränderung weitaus früher: Ein für die Entwicklung der Extremitäten bei Säugetieren entscheidendes Gen, „Sonic hedgehog“ genannt, wurde offenbar komplett deaktiviert.

Sonic Hedgehog ist bei allen Säugern für die Ausbildung normaler Unterarme bzw. Unterschenkel zuständig. Die neuen Forschungen zeigen, dass das Gen bei den Walen während ihrer langsamen Beinrückbildung vermutlich zunächst noch funktionierte. Erst am Ende dieser 15 Millionen Jahre dauernden Umbildungszeit fiel das Gen aus und verhinderte damit, dass mehr als nur Beinknospen entstanden. Anderswo im Embryo dagegen war das Gen allerdings voll funktionsfähig.

Ursache dafür war ein Gen namens Hand2, das normalerweise als Schalter für Sonic Hedgehog fungiert. In den Knospen der Hinterbeine von heutigen Delphinen, so die Ergebnisse der Wissenschaftler, ist jedoch auch dieses Gen inaktiv und damit steht auch der Schalter für Sonic Hedgehog auf „aus“.

Kombination von Paläontologie und Entwicklungsgenetik

„Indem wir Daten von Fossilien mit entwicklungsbiologischen Daten von Delphinen verbanden, konnten wir diese genetischen Veränderungen bis zu dem Zeitpunkt zurückverfolgen, an dem sie passierten“, erklärt Thewissen. „Studien zum Schwimmen bei Säugern zeigen, dass ein stromlinienförmiger Körper für effizientes Schwimmen wichtig ist, weil jeder vorstehende Körperteil eine Menge Reibung erzeugt und damit verlangsamt.“

“Die Wale machten diese bemerkenswerte Transformation durch und wurden den urzeitlichen Fischen ähnlicher“, so Clifford Tabin, Professor für Genetik an der Harvard Universität. „Die Konvergenz von evolutionsbiologischen und entwicklungsgenetischen Studien bringt uns einen Schritt weiter im Verständnis, wie genetische Veränderungen zu morphologischen Wandel führen. Erst in den letzten fünf Jahren beginnen wir zu begreifen, wie die Welt der Evolution genetisch kontrolliert wird.“

(University of Florida, 23.05.2006 – NPO)

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