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Neurobiologie

Warum uns Schlafmangel so reizbar macht

Gefühlszentrum kann nicht mehr zwischen neutralen und emotionalen Reizen unterscheiden

Schlafmangel macht uns reizbar. Warum, haben Forscher nun herausgefunden. © Jaykayl/ iStock.com

Aus Schlafmangel schlecht gelaunt? Forscher haben herausgefunden, warum uns zu wenig Schlaf so reizbar macht: Unser Gefühlszentrum im Gehirn kann dann nicht mehr zwischen unwichtigen neutralen und emotionalen Informationen unterscheiden. Wir reagieren dadurch selbst auf völlig neutrale Reize emotional. statt sie einfach zu ignorieren, berichten die Forscher im „Journal of Neurology“. Das macht uns dünnhäutig.

Bekommen wir nicht genügend Schlaf, spüren wir dies ziemlich schnell: Wir fühlen uns abgeschlagen und haben Probleme, uns tagsüber zu konzentrieren. Denn dem Gehirn fehlt eine wichtige „Aufräum-Pause„, während der es das tagsüber Aufgenommene verarbeitet. Schlafmangel fördert daher nicht nur falsche Erinnerungen, er kann sogar Hirnzellen zerstören.

Gelbe Punkte vor ablenkenden Bildern

Eti Ben-Simon von der Universität Tel Aviv und seine Kollegen sind nun der Frage nachgegangen, warum wir nach einer kurzen Nacht oft so gereizt und emotional reagieren. Dafür hielten sie 18 Probanden eine Nacht lang wach und ließen sie dann eine Konzentrations-Aufgabe lösen, während ihre Gehirnaktivität per EEG und mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) erfasst wurde. In der Aufgabe sollten die Teilnehmer sollten den Weg eines gelben Punkts über den Monitor verfolgen und per Klick angeben, in welche Richtung er wanderte.

Als Ablenkung wurden im Hintergrund emotional neutrale sowie positiv oder negativ besetzte Bilder gezeigt. „Wir haben angenommen, dass der Schlafmangel die Verarbeitung von emotionalen Bildern erhöht und deshalb die Kapazität des Gehirns für kognitive Aufgaben einschränkt“, erklärt Seniorautorin Talma Hendler von der Universität Tel Aviv.

„Plötzlich erscheint alles wichtig“

Tatsächlich ließen sich ausgeschlafene Probanden bei diesem Test von den neutralen Hintergrundbildern nicht ablenken, ihre Leistung und Reaktionsschnelligkeit sank nur bei emotional anrührenden Bildern ab, wie die Forscher berichten. Dies spiegelte sich auch im EEG wieder: Dieses zeigte bei neutralen Bildern ein anderes Muster als bei emotionalen.

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Anders bei den übernächtigen Teilnehmern: Ihre Leistungen waren in allen Fällen schlechter und die Kurven des EEGs waren bei neutralen und emotionalen Ablenkungen gleich. „Wir waren überrascht“, sagt Hendler. „Es zeigt sich, dass wir unsere Neutralität verlieren: Die Fähigkeit des Gehirns zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden wird gestört – plötzlich scheint alles wichtig.“

Gefühlszentrum reagiert überaktiv

Die Auswertung der fMRT-Aufnahmen enthüllte, wo das Problem liegt: Bei Schlafmangel ändert sich die Aktivität in der Amygdala, dem Gefühls- und Angstzentrum des Gehirns. Während sie normalerweise nur bei emotional wichtigen Reizen anspringt, reagierte sie bei den übernächtigten Probanden auf alle Bilder gleich. „Das belegt, dass Schlafmangel nicht unser generelles Urteilsvermögen herabsetzt, sondern spezifisch die Reaktion auf normalerweise unwichtige, neutrale Reize verändert“, sagt Ben-Simon.

Das erklärt, warum wir nach einer schlaflosen Nacht so dünnhäutig reagieren: „Alle auf uns einströmenden Eindrücke lösen nun eine emotionale Reaktion aus, selbst völlig neutrale“, erklärt Hendler. Wir schaffen es einfach nicht mehr, ablenkende Informationen zu ignorieren und reagieren selbst in völlig neutralen Situationen gefühlsbetont. Unsere Schwelle für Emotionen ist abgesenkt. „Das kann auch zu einer verzerrten, unausgewogenen kognitiven Verarbeitung führen, einem schlechten Urteilsvermögen und erhöhter Angst“, erläutert Hendler. Wer schlecht geschlafen hat, sollte daher vermeintliche Provokationen – und sich selbst – vielleicht nicht ganz so ernst nehmen. (Journal of Neuroscience, 2015; doi: 10.1523/JNEUROSCI.1314-15.2015)

(American Friends of Tel Aviv University, 09.12.2015 – NPO)

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