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Evolution

Warum nur Säugetiere Stoßzähne haben

Fossile Säugetiervorgänger verraten Entwicklung der ersten Stoßzähne

Dicynodon
Der Säugetiervorfahre Dicynodon hatte zwar einen Kopf wie eine Schildkröte, trug aber schon Stoßzähne. © Marlene Hill Donnelly

Ob Elefant, Walross oder Warzenschwein: Echte Stoßzähne gibt es bei einigen Säugetieren – aber merkwürdigerweise bei keinem anderen Tier. Warum das so ist und wie sich die Stoßzähne entwickelt haben, haben Forscher nun mithilfe von mehr als 200 Millionen Jahre alten Fossilien aufgeklärt. Demnach waren säugetierähnlichen Reptilien aus der Gruppe der Dicynodontia die ersten, die aus normalen Zähnen Stoßzähne entwickelten.

Sie lebten vor 270 bis 201 Millionen Jahren und ähnelten tatzenbewehrten Schweinen mit Schildkrötenkopf: Die pflanzenfressenden Dicynodontia waren zwar noch Reptilien, hatten aber schon einige Merkmale der Säugetiere entwickelt – ihren späteren Nachfahren. Dazu gehörten auch prominente Zähne: Obwohl diese Tiere ansonsten nur eine schnabelähnliche Kauleiste besaßen, trugen sie im Oberkiefer lange, nach unten aus dem Maul herausragende Eckzähne. Ihnen verdanken sie auch ihren Namen, der griechisch „zwei Hundezähne“ bedeutet.

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Bei diesen Dicynodontia-Zahn ist das Dentin (grau) ebenfalls von Zahnschmelz (blau) überdeckt.© M. Whitney

Was macht einen echten Stoßzahn aus?

Diese auffallenden Dicynodontia-Zähne weckten bei Megan Whitney von der Harvard University und ihren Kollegen die Frage, ob es sich dabei womöglich um die ersten echten Stoßzähne im Tierreich handeln könnte. „Dafür mussten wir aber erst einmal genau definieren, was einen Stoßzahn eigentlich ausmacht – denn dieser Begriff wird sehr unterschiedlich verwendet“, sagt Whitney. Denn wie sie erklärt, ist längst nicht jeder vergrößerte Eckzahn auch ein Stoßzahn.

Um als echter Stoßzahn zu gelten, muss ein Zahn demnach vier Merkmale aufweisen: Er muss kontinuierlich und lebenslang weiterwachsen, was beispielsweise die verlängerten Eckzähne von Hunden oder Katzen nicht tun. Er muss aus dem Maul herausragen. Er darf nicht fest im Kieferknochen verankert sein, sondern muss über Bänder mit ihm verbunden sein. Und schließlich darf der Stoßzahn nicht komplett mit hartem Zahnschmelz überzogen sein. Stattdessen muss seine Oberfläche primär aus Dentin bestehen, einem Material, das sich anders als der mineralische Zahnschmelz ständig erneuern kann.

Die Unterschiede liegen im Detail

Ausgehend von diesen Merkmalen haben Whitney und ihr Team nun untersucht, ob die auffallenden Zähne der Dicynodontia alle Bedingungen für echte Stoßzähne erfüllen. Dafür analysierten sie Dünnschnitte von 19 fossilen Zähnen von zehn unterschiedlich weit entwickelten Dicynodontier-Arten. Zusätzlich nutzten sie die Mikro-Tomografie, um die Befestigung der Zähne am Kiefer der Tiere sowie die Zahnwurzeln auf Anzeichen für ein kontinuierliches Zahnwachstum zu untersuchen.

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Das überraschende Ergebnis: Obwohl die Dicynodontia auf den ersten Blick alle ganz ähnliche Eckzähne besaßen, erfüllten nicht alle die Bedingungen für einen echten Stoßzahn. „Wenn man sich die Mikrostrukturen anschaut, unterscheiden sich die Zähne der verschiedenen Untergruppen“, berichtet Whitney. Einige dieser verlängerten Zähne waren demnach komplett mit Zahnschmelz überzogen und fest mit dem Kiefer verbunden. Andere dagegen hatten bereits den Zahnschmelz rückgebildet und waren elastisch verwachsen.

Diictodon
Fossil der Dicynodontia-Art Diictodon und Querschnitt durch den Eckzahn mit einer als hellem Ring erkennbaren Zahnschmelzschicht.© M. Whitney

Konvergent entwickelt

Interessant auch: Der Übergang vom Eckzahn zum Stoßzahn folgte innerhalb der Dicynodontia nicht den Verwandtschaftslinien. „Ich hatte erwartet, dass es einen Punkt in dieser Familie gab, ab dem alle Dicynodontia begannen, Stoßzähne auszubilden“, berichtet Whitney. „Deshalb fand ich es ziemlich schockierend, als wir Indizien für eine konvergente Entwicklung fanden.“ Demnach haben sich echte Stoßzähne mehrfach parallel bei verschiedenen Linien der Dicynodontia entwickelt.

„Von Zahnschmelz umhüllte Zähne repräsentieren eine andere evolutionäre Strategie als die mit Dentin bedeckten Stoßzähne“, erklärt Whitney. Für manche Arten war es möglicherweise vorteilhafter, sehr harte, wenn auch leicht spröde Zähne auszubilden, selbst wenn diese nicht erneuerbar waren. Auch die Primaten und damit die Vorfahren des Menschen entwickelten diese Zahnvariante. Andere Spezies dagegen setzten eher auf weichere, dafür aber kontinuierlich weiterwachsende Eckzähne ähnlich denen der heutigen Elefanten.

Anders als bei anderen Reptilien

Dennoch gab es eine Gemeinsamkeit bei allen Dicynodontia: Anders als viele urtümliche Reptilien oder die späteren Dinosaurier ersetzten sie ihre Zähne im Laufe ihres Lebens nicht oder maximal einmal. Stattdessen entwickelten diese Vorfahren der Säugetiere eine Strategie, bei der die Zähne entweder ein Leben lang weiterwuchsen oder aber dies zumindest im Jugendalter noch taten. Indiz dafür sind einige Arten, bei denen die Jungtiere noch Zähne aus Dentin und mit flexibler Aufhängung besaßen. Bei den Adulten dagegen waren die Zähne dann von Schmelz überzogen und fest mit dem Kiefer verwachsen.

Nach Ansicht der Paläontologen könnte dies darauf hindeuten, dass sich die echten Stoßzähne aus ursprünglich bei Jungtieren vorkommenden Zahnformen entwickelt haben. Ob diese Merkmale beibehalten wurden oder nicht, könnte dabei eine Frage der Lebensweise und Anpassung gewesen sei. Weil die Säugetiere diese grundlegenden Analgen erbten, hatten auch sie die Option, entweder Stoßzähne zu entwickeln oder aber harte Zähne mit Zahnschmelz.

„Auch wenn die Dicynodontia wirklich skurrile Tiere waren, liefern sie uns damit wertvolle Informationen über die heutigen Säugetiere“, sagt Koautor Kenneth Angielczyk vom Field Museum in Chicago. (Proceedings of the Royal Society B Biological Sciences, 2021; doi: 10.1098/rspb.2021.1670)

Quelle: Field Museum, Harvard University

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