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Biologie

Warum Haustiere so anders sind

Forscher lösen Jahrhunderte altes Rätsel des Domestikations-Syndroms

Typisch für Haustiere: weiße Flecken in Fell und Haut © freeimages

Zahm und niedlich: Haustiere sind nicht nur im Verhalten anders als ihre wilden Verwandten, sie haben auch äußerlich typische Merkmale, wie weiße Fellflecken oder ein rundliches Gesicht. Woher das kommt, rätselte schon Darwin. Jetzt haben Forscher eine mögliche Erklärung dafür gefunden. Ein kleiner Zellklumpen im Embryo spielt darin eine Hauptrolle und eine überraschende Verbindung von Verhalten und äußeren Merkmalen.

Haustiere sind nicht nur zutraulicher als ihre wilden Verwandten, sie unterscheiden sich auch rein äußerlich von ihnen: Ihre Gesichter sind oft rundlicher, die Zähne kleiner, ihr Fell zeigt weiße Flecken und oft haben sie auch abgeknickte Ohren. Viele Haustierarten haben auch ein bis zu 30 Prozent kleineres Gehirn als ihre wilden Verwandten. Warum diese Merkmale bei nahezu allen Haustieren auftreten, darüber rätselte schon Charles Darwin.

Sind Einkreuzungen schuld?

„Dieses Domestikations-Syndrom ist eines der ältesten ungelösten Probleme in diesem Fachgebiet“, erklärt Erstautor Adam Wilkins von der Humboldt Universität Berlin. Darwin schlug damals zwei Erklärungen für dieses Phänomen vor: Er vermutete, dass besseres Futter und allgemein mildere Bedingungen irgendwie dazu beitragen, diese äußerlichen Veränderungen auszulösen. Vielleicht, so spekulierte der Naturforscher, könnte auch die Kreuzung verschiedener Rassen diese Merkmale verursacht haben.

Beides wäre durchaus denkbar, erklärt nach Angaben von Wilkins und seinen Kollegen aber nicht, warum sich immer die gleichen Merkmale ausprägen. Zudem zeigt ein russisches Langzeitexperiment mit Nerzen und Füchsen, dass sich die Domestikationsmerkmale auch dann bilden, wenn über Generationen nur mit den jeweils zahmsten eines Wurfs weitergezüchtet wird – ohne Einkreuzung fremder Arten und ohne Selektion nach äußeren Merkmalen. Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass weiße Flecken und Co nur ein Nebeneffekt bei der Züchtung zutraulicher Haustiere sind.

Die Zellen der Neuralleiste (grün) bilden später verschiedenste Gewebe und Organe - udn bneeinflussen durch ihre chemischen Signale auch die Gehirnentwicklung. © NikNaks / CC-by-sa 3.0

Zellhaufen im frühen Embryo

„Was aber könnte der gemeinsame Faktor dieser Merkmale sein?“, fragten sich Wilkins und seine Kollegen – und fanden eine Antwort in der frühen Embryonalentwicklung aller Wirbeltiere. Denn viele Teile des Schädels, der Knorpel der Ohren, die Zähne, die Pigmentzellen der Haut und die Nebenniere haben ihren Ursprung in einer einzigen kleinen Gruppe von Stammzellen. Diese Zellen der sogenannten Neuralleiste bilden sich in der Nähe der Wirbelsäule des Embryos und wandern dann in die verschiedenen Körperteile aus.

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„Als unsere Vorfahren gezielt Tiere auf ihre Zahmheit hin züchteten, könnten sie unabsichtlich diejenigen ausgewählt haben, die leichte Defekte in der Neuralleiste hatten“, erklärt Wilkins. Solche Defekte können dazu führen, dass die Nebennieren weniger Stresshormone und Adrenalin produzieren. Das wiederum macht die betroffenen Tiere weniger ängstlich und aggressiv – es erzeugt also genau die Verhaltensmerkmale, die bei der Zucht von Haustieren erstrebenswert sind.

Gleichzeitig aber führen die Neuralleisten-Defekte auch zu leichten Fehlbildungen am Schädel, den Ohren und zu Pigmentstörungen in der Haut. Dies könnte daher auch die äußerlichen Gemeinsamkeiten der Haustiere erklären. Weil chemische Botenstoffe der Neuralleistenzellen auch für die Entwicklung des Gehirns eine wichtige Rolle spielen, wäre auch das oft kleinere Denkorgan der Haustiere mit einem solchen Defekt erklärbar, so die Forscher.

Verändert in Verhalten und Äußerem: Hauskaninchen © freeimages

Eine Ursache für Verhalten und Äußeres

„Diese Hypothese eines Neuralleisten-Defekts bringt damit das scheinbare Sammelsurium von Merkmalen auf einen Nenner“, sagt Wilkins. Noch habe diese Idee zwar einige Unsicherheiten und Lücken, räumen die Forscher ein. Und auch die genetische oder epigenetische Basis dieser Theorie muss erst noch untersucht werden. Aber Vergleiche des Erbguts von Haustieren wie Ratte, Hund oder Schwein mit den entsprechenden Wildtypen könnten helfen herauszufinden, ob es diese Neuralleisten-Defekte tatsächlich gibt und wie sie sich genetisch manifestieren.

Sollte sich die Hypothese der Forscher bestätigen, wäre Darwins Rätsel endlich gelöst – und wir hätten die Hintergründe einer der prägendsten Errungenschaften der menschlichen Frühgeschichte aufgeklärt: der Domestikation unserer Haustiere. (Genetics, 2014; doi: 10.1534/genetics.114.165423)

(Genetics Society of America, 15.07.2014 – NPO)

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