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Evolution

Vormenschen: Muttermilch als Notversorgung

Australopithecus-Kinder bekamen auch nach dem Abstillen in Notzeiten noch Muttermilch

Australopithecus africanus
Die Mütter der Vormenschenart Australopithecus africanus stillten ihre Kinder rund ein Jahr lang, nutzten ihre Milch aber auch Jahre später noch als Notnahrung für den Nachwuchs .© Juan Ramon Rodriguez Sosa / CC-by-sa 2.0

Schon vor gut zwei Millionen Jahren stillten Vormenschen-Mütter ihre Kinder ähnlich lange wie wir – etwa ein Jahr lang. Doch anders als heutige Kinder bekam der Nachwuchs des Australopithecus africanus auch Jahre nach dem Abstillen immer wieder vorübergehend Muttermilch, wie Zahnanalysen belegen. Offenbar sollte dies Perioden des Nahrungsmangels überbrücken, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Muttermilch ist für Neugeborene überlebenswichtig. Denn der reichhaltige Cocktail an Proteinen, gesunden Fetten und Botenstoffen enthält Substanzen, die das Immunsystem des Kindes stärken, gegen Allergien schützen, seine Darmflora in Schuss halten und seine Hirnentwicklung fördern. Ob und wie lange ein Kind gestillt wird, ist daher für seine spätere Gesundheit enorm wichtig. Gleichzeitig hat der Zeitpunkt des Abstillens auch Auswirkungen auf die Fortpflanzung: Stillt die Mutter früh ab, kann sie schneller wieder schwanger werden.

Zahn von Australopithecus africanus
Diese Probe eines Zahns von Australopithecus africanus verrät die Stilldauer dieser Vormenschenart. © Mount Sinai Health System

Doch wie sieht es mit dem Stillverhalten unserer frühen Vorfahren aus? Stillten sie ihren Nachwuchs nur einige Monate bis ein Jahr lang wie heutige Mütter oder bekamen ihre Kinder jahrelang Muttermilch, wie es bei den Menschenaffen der Fall ist? Bisher gab es auf diese Frage keine Antwort. Einzig beim Neandertaler haben Zahnanalysen bereits enthüllt, dass diese eiszeitlichen Vettern ihren Nachwuchs ähnlich kurz stillten wie Mütter heute.

Zähne verraten Stilldauer

Jetzt haben Renaud Joannes-Boyau von der Southern Cross University in Australien und seine Kollegen erstmals rekonstruiert, wie lange die Kinder der Vormenschenart Australopithecus africanus gestillt wurden. Diese lebte vor drei bis zwei Millionen Jahren im südlichen Afrika und musste dort mit schwierigen Bedingungen klarkommen. Denn der Wechsel von Regen- und Trockenzeit brachte immer wieder monatelange Nahrungsknappheit mit sich.

Für ihre Studie analysierten die Forscher Proben von zwei 2,6 bis 2,1 Millionen Jahre alten Australopithecus-Zähnen aus der Nähe von Sterkfontein in Südafrika. Der Bariumgehalt in den Wachstumsschichten dieser Zähne verriet ihnen, wie lange diese beiden Vormenschen als Kinder Muttermilch bekommen haben. „Die Bariumkonzentration steigt nach der Geburt mit der Absorption von Muttermilch an und sinkt dann während der Zeit des Abstillens allmählich wieder ab“, erklären die Wissenschaftler.

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Nach einem Jahr abgestillt

Genau dieses Muster fand sich auch in den Vormenschenzähnen wieder, wie die Analysen ergaben. Demnach wurden die Australopithecus-Babys in den ersten sechs bis neun Lebensmonaten nahezu ausschließlich mit Muttermilch ernährt – sie wurden gestillt. Danach jedoch erhielten die Kinder allmählich immer weniger Muttermilch und immer mehr feste Nahrung, bis sie mit zwölf Monaten abgestillt wurden.

In Bezug auf das Stillen verhielten sich diese Vormenschen vor gut zwei Millionen Jahren demnach schon ganz ähnlich wie heutige Mütter: „Damit repräsentiert Australopithecus eine Stilldauer, die mit der des modernen Homo sapiens vergleichbar ist – und unterscheidet sich deutlich von den heute lebenden Menschenaffen“, konstatieren die Forscher. „Diese Vormenschenart war uns damit schon näher als die Menschenaffen.“

Muttermilch gegen den Nahrungsmangel

Allerdings: Einen entscheidenden Unterschied gibt es. Denn auch Jahre nach dem Abstillen gab es bei diesen Vormenschen immer wieder Zeitperioden, in denen die Kinder offenbar doch wieder Muttermilch bekamen. „Das Barium-Elementverhältnis steigt und fällt dabei in einem zyklischen Muster von vier bis sechs Monaten Dauer“, berichten Joannes-Boyau und sein Team. Das deutet darauf hin, dass der Nachwuchs immer dann gestillt wurde, wenn Nahrungsknappheit herrschte.

„In Zeiten von mangelndem Nahrungsangebot, beispielsweise in der saisonalen Trockenzeit, griffen die Australopithecus-Mütter über mehrere Jahre wiederkehrend auf Muttermilch zurück, um den Hunger ihres Nachwuchses zu stillen“, erklärt Koautor Ottmar Kullmer vom Senckenberg-Forschungszentrum in Frankfurt am Main. In dieser Hinsicht ähnelt das Stillverhalten der Vormenschen dem der heutigen Orang-Utans, die ihre Kinder bei Nahrungsknappheit ebenfalls vorübergehend stillen.

Zum Aussterben verurteilt?

Nach Ansicht der Forscher bestätigt dieses Stillverhalten nicht nur, dass der Australopithecus africanus kurz vor seinem Verschwinden immer wieder mit Nahrungsmangel zu kämpfen hatte – es könnte auch dazu geführt haben, dass diese Vormenschen damals weniger Nachkommen bekamen. Denn so lange die Mütter stillten, wurden sie nicht schwanger. Das wiederum könnte eine Rolle für das Aussterben dieser Vormenschenart gespielt haben.

„Diese Anpassungen an die saisonale Ressourcenknappheit gingen zu Lasten der Widerstandsfähigkeiten gegenüber anderen Umweltfaktoren“, erklären Joannes-Boyau und sein Team. „Sie spielten daher wahrscheinlich eine Rolle für das Verschwinden dieser Gattung aus der Fossilgeschichte vor rund zwei Millionen Jahren.“ (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-1370-5)

Quelle: Mount Sinai Hospital, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

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