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Neurologie

Voreingenommenheit zeigt sich am Gehirn

Alphawellen in den Hirnströmen verraten kognitive Verzerrung bei Entscheidungen

Treffen wir voreingenommen Entscheidungen, zeigt sich dies an den Mustern unserer Hirnaktivität. © Image Jungle/ iStock.com

Verzerrte Sicht? Ob wir voreingenommen entscheiden oder nicht, lässt sich an unserem Gehirn ablesen. Wie Experimente zeigen, deutet die Ausprägung sogenannter Alphawellen darauf hin. Die Stärke dieser Hirnwellenmuster legt demnach nahe, ob wir auf Grundlage persönlicher Voreingenommenheit agieren – oder diesen „Bias“ überwinden. Damit ergeben sich neue Einblicke in die neuronalen Grundlagen subjektiver Wahrnehmung, berichten die Forscher.

Ob wir es wollen oder nicht: Unser Gehirn ist aus Prinzip voreingenommen. Es verleitet uns zum Beispiel dazu, Muster zu erkennen, wo keine sind oder hartnäckig an einer alten Überzeugung festzuhalten, obwohl neue Informationen dieser eindeutig widersprechen. Dieselben Prozesse sind verantwortlich dafür, dass Vorurteile unseren Eindruck von Gesichtern prägen oder Menschen mit Essstörungen ihren Körper verzerrt wahrnehmen.

„Das Gehirn generiert systematisch verzerrte Wahrnehmungen der Welt, sodass wir unsere eigene, subjektive Realität entwickeln“, erklären Laetitia Grabot und Christoph Kayser von der Universität Bielefeld. Fachleute sprechen von kognitiver Verzerrung – ein in der Regel unbewusstes Phänomen. Trotzdem können wir unseren persönlichen „Bias“ unter bestimmten Bedingungen überwinden. Wie aber lässt sich erkennen, ob jemand gerade durch eine solche Verzerrung beeinflusst agiert oder nicht?

Blick ins voreingenommene Gehirn

„Wenn der Wahrnehmung zugrundeliegende neuronale Mechanismen erforscht werden, werden solche Verzerrungen oftmals nicht beachtet“, sagen Grabot und Kayser. Um dies in Zukunft zu ändern, haben sie sich nun die Frage gestellt: Zeigen sich verzerrte Handlungen womöglich an der Hirnaktivität?

Für ihre Studie zeichneten die Forscher die Gehirnströme von Erwachsenen auf, während diese eine Entscheidung treffen mussten. Konkret bekamen die Studienteilnehmer ein Bild präsentiert und einen Ton vorgespielt – beides mit nur wenigen Millisekunden Abstand. Sie sollten dann entscheiden: Welcher Reiz kam zuerst? Zuvor hatten die Wissenschaftler in einem anderen Experiment überprüft, ob die Probanden eine individuelle Neigung zeigten, eher das Bild oder eher den Ton zu wählen.

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Die Stärke der sogenannten Alphawellen enthüllt die Verzerrung. © Grabot und Kayser, JNeurosci 2020

Alphawellen als Indiz

Die Auswertungen der Elektroenzephalografie-Messungen (EEG) enthüllten: Tatsächlich ließ sich am Gehirn ablesen, ob die Studienteilnehmer im Test ihrer persönlichen Neigung folgten – also verzerrt agierten – oder diese Voreingenommenheit überwanden. Schon bevor der erste Stimulus präsentiert wurde, lieferten demnach die sogenannten Alphawellen einen Hinweis darauf.

Von diesem im Rhythmus von acht bis 13 Hertz schwingenden Hirnströmen ist schon länger bekannt, dass sie mit Entscheidungen und subjektiven Eindrücken in Zusammenhang stehen und zum Beispiel beeinflussen, wie Menschen im Nachhinein über ihre Wahrnehmung einer Situation berichten. Auch für das Lernen spielen diese Hirnströme eine wichtige Rolle.

Schon vor der eigentlichen Entscheidung

Bei der Frage, wie voreingenommen das Gehirn reagiert, war die Ausprägung dieser Hirnmuster im vorderen Teil des Denkorgans entscheidend, wie die Tests ergaben: Schwächere Alphawellen bedeuteten, dass der Proband seinem „Bias“ widerstand. Stärkere Alphawellen tauchten auf, wenn die Person ihrer persönlichen Neigung entsprechend entschied.

Ob die Studienteilnehmer objektiv betrachtet richtig oder falsch antworteten, ließ sich an den Hirnströmen dagegen nicht ablesen, wie die Forscher berichten. Ihnen zufolge scheint die spontane Alphawellen-Aktivität daher ein spezifisches Indiz für die kognitive Verzerrung zu sein – und zwar schon bevor die eigentliche Entscheidung fällt.

Persönlichen „Bias“ überwinden

„Wir zeigen, dass die Alphawellen den Grad der Verzerrung bei Entscheidungen in einer Zeitwahrnehmungsaufgabe vorhersagen können. Dies legt nahe, dass ihre Aktivität Prozesse nachweist, die nötig sind, um die persönliche Voreingenommenheit eines Individuums zu überwinden“, so das Fazit der Wissenschaftler.

Diese Erkenntnis liefert nicht nur neue Einblicke in die neuronalen Grundlagen der subjektiven Wahrnehmung. Sie eröffnet auch die Möglichkeit den persönlichen „Bias“ von Probanden in Studien zu messen oder gezielter zu manipulieren. (The Journal of Neuroscience, 2020; doi: 10.1523/JNEUROSCI.2359-19.2020)

Quelle: Society for Neuroscience

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