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Zoologie

Vom Vorteil, anders zu sein

Wissenschaftler suchen nach dem evolutionären Wert individueller Einzigartigkeit

Ausgeprägte Charaktere: Zebrafinken zeigen in ihrem Balz- und Sexualverhalten große Unterschiede - von schüchtern bis draufgängerisch. Evolutionsbiologen fragen danach, welchen Nutzen eine derart hohe Individualität haben kann. © Max-Planck-Institut für Ornithologie / Wolfgang Forstmeier

Extrovertiert oder introvertiert, selbstbewusst oder schüchtern, Macho oder Softie – wer glaubt, solche Zuschreibungen träfen nur beim Menschen zu, der irrt. Tatsächlich zeigen auch Zebrafinken ausgeprägte Unterschiede in der Persönlichkeit, insbesondere in ihrem Sexualverhalten. Wie diese Unterschiede vererbt werden und welche Folgen sich daraus für die Fitness ergeben, darüber ist bisher allerdings wenig bekannt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen wollen jetzt herausfinden, ob es einen evolutionären Vorteil bringt, anders zu sein als die anderen.

Zebrafinken zeigen in ihrem Sexualverhalten erstaunliche Parallelen zum Menschen: Die Vögel leben in sozialer Monogamie, das heißt, ein Pärchen bleibt in der Regel ein Leben lang zusammen. Dabei sind Seitensprünge keine Seltenheit: Sowohl er als auchsie gehen hin und wieder fremd – mit entsprechenden Folgen. Das gilt aber nicht für jeden Vogel, manche sind auch ganz treu. Darüber hinaus gibt es unter den Zebrafinken-Männchen gute Väter und weniger gute: Manche Männchen erledigen den Großteil der elterlichen Brutfürsorge, andere überlassen dies dem Weibchen.

Zebrafinken als Modell

Wolfgang Forstmeier möchte nun herausfinden, welche Männchentypen unter welchen sozialen Bedingungen einen Konkurrenzvorteil besitzen. Der junge Biologe leitet eine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen. An die 800 Zebrafinken hat er hier in seiner Obhut. Die hohe Vermehrungsrate von Zebrafinken erlaubt es, im Laufe weniger Jahre mehrere Generationen heranzuzüchten und so die Vererbung von Persönlichkeitsunterschieden zu untersuchen.

"Bei ausgewogenem Geschlechterverhältnis und seltenem Nachbarkontakt sollten monogam veranlagte Männchen, die eine geringe Aggressivität und einen geringen Sexualtrieb zeigen, einen Selektionsvorteil haben, da sie all ihre Energien auf die Brutfürsorge konzentrieren können", sagt Forstmeier. "Bei Weibchenüberschuss haben Männchen mit starkem Sexualtrieb einen Vorteil, bei Weibchenmangel setzen sich vor allem die aggressiveren Männchen durch."

Gelegenheit macht Seitensprünge

Auf der Basis von standardisierten Tests stellt der Wissenschaftler zunächst den individuellen Verhaltenstypus eines Vogels fest. Anschließend werden die Tiere in geräumige Zuchtvolieren entlassen, in denen Freiland ähnliche Bedingungen herrschen. Hier können die Forscher die soziale Umgebung in der Zebrafinken-Kolonie gezielt manipulieren. Um "Monogamie-Bedingungen" herzustellen, wird die Voliere durch Maschendraht in mehrere weitgehend getrennte Kompartimente unterteilt und mit gleich vielen Männchen wie Weibchen besetzt; jedes Pärchen besitzt seine eigene Nistbox, Futter, Wasser sowie Nistmaterial.

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Mit einer Videokamera zeichnen die Forscher die Interaktionen zwischen den Vögeln auf. 4.000 Videos mit mehr als 300 Stunden bewegtem Bild haben sich inzwischen angesammelt. "Wir konnten feststellen, dass schüchterne Männchen genauso häufig mit ihrer Partnerin kopulieren wie nicht schüchterne. Aber nur den weniger schüchternen Männchen gelingt es, erfolgreich außerpaarlich zu kopulieren", erläutert Wolfgang Forstmeier.

Wurden Nahrung und Nistmaterial zentral in der Mitte der Voliere platziert, die Trennwände entfernt und mehr Weibchen als Männchen eingesetzt, so stieg im Vergleich zu den Monogamie-Bedingungen der Anteil außerpaarlicher Vaterschaften von 25 auf 50 Prozent, wie die Forscher anhand genetischer Marker zur Vater- und Mutterschaftsbestimmung feststellen konnten. Und seitens der Weibchen gab es erhebliche Veränderungen zwischen den Generationen: Unter diesen Sozialbedingungen produzierten die Mütter zurückhaltende Töchter.

Vererbung über nicht-genetische Faktoren im Ei

Dieser Effekt ließ sich nicht auf genetische Faktoren oder die Aufzuchtbedingungen zurückführen, er wurde tatsächlich über das Ei vermittelt. "Mütter können ihren Nachkommen nicht-genetische Faktoren, etwa Sexualhormone, im Eidotter mitgeben und auf diese Weise den Verhaltenstypus beeinflussen", erklärt Forstmeier. "Wir fragen uns, ob zurückhaltende Eigenschaften bei einem Überschuss an Weibchen einen Vorteil bringen, weil Männchen unter diesen Bedingungen möglicherweise treuere Weibchen bevorzugen."

Wenn das der Fall wäre, dann könnte es sich hier möglicherweise um eine Art "strategische Programmierung" der Töchter durch ihre Mütter handeln. Um diese Hypothese zu überprüfen, will der Verhaltensbiologe in den kommenden Monaten die Nachkommen von Müttern aus verschiedenen sozialen Umwelten in der Voliere mit Weibchenüberschuss testen. Zurückhaltendere Weibchen sollten dann bei der Paarbildung erfolgreicher sein.

(MPG, 07.02.2007 – NPO)

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