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Biologie

Vogel trickst Räuber durch „Fremdsprachen“ aus

Imitation von Alarmrufen gleich mehrerer Vogelarten lenkt Nesträuber ab

Der kleine Sperlingsvogel Acanthiza pusilla beherrscht "Fremdsprachen" © Branislav Igic

Klein, aber oho: Einer der kleinsten Vögel Australiens schützt sein Nest mit einem raffinierten Trick: Er imitiert die Alarmrufe gleich mehrerer anderer Vogelarten und gaukelt dem Nesträuber so vor, ein Greifvogel sei im Anflug. Die Folge: Der Chorus von Alarmen lenkt den Räuber ab und die Nestlinge können fliehen. Die „Fremdsprachen“-Kenntnisse des kleinen Sperlingsvogels retten so seinem Nachwuchs das Leben.

Mimikry – die Nachahmung anderer Tiere oder Lebewesen – ist eine beliebte Taktik im Tierreich, um sich vor Angriffen zu schützen oder aber seine Beute zu täuschen. So tarnt sich das Küken einer tropischen Vogelart als giftige Raupe, um Fressfeinde abzuschrecken. Eine Schabe ahmt einen wehrhaften Laufkäfer nach und männliche Rohrweihen „verkleiden“ sich als Weibchen, um nicht von Rivalen angegriffen zu werden.

Habicht-Warnung als Ablenkung

Einen besonders raffinierten Fall von akustischer Mimikry haben nun Branislav Igic von der Australian National University und seine Kollegen entdeckt und untersucht. Der kleine Sperlingsvogel Acanthiza pusilla, im englischen Brown Thornbill – Brauner Dornenschnabel – genannt, gilt schon länger als begabter Nachahmer.

Wenn aber ihr Nachwuchs durch einen gefiederten Nesträuber bedroht wird, laufen die Winzlinge geradezu zu Hochform auf: Sie beginnen dann lauthals die Alarmrufe auszustoßen, die normalerweise vor dem Anflug eines Greifvogels warnen. Typischerweise blicken dann alle Artgenossen und auch die meisten anderen Vögel der Umgebung zum Himmel auf, um die Gefahr abzuschätzen. Diese kurze Ablenkung reicht dem Dornschnabel oder seinen Nachwuchs, um zu fliehen.

Gefüchteter Nesträuber: der Currawong (Strepera graculina) © Branislav Igic

Vogel mit Fremdsprachen-Kenntnissen

Doch der kleine Sperlingsvogel beschränkt sich dabei nicht auf seine eigenen Alarmrufe, sondern streut auch die anderer Vogelarten mit ein. Das entdeckten die Forscher durch Zufall, als sie das Nest eines dieser kleinen Vögel durch eine Eulenattrappe bedrohten. „Ich war erst verwirrt, weil ich plötzlich die Alarmrufe von Rotkehlchen, Honigfressern und Schweifsittichen hörte, ohne dass ich Vertreter dieser Arten sah“, berichtet Koautor ‚Robert Magrath von der Australian National University.

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Schnell stellte sich aber heraus, dass alle Alarmrufe nur von einem einzigen Vogel stammten: dem Dornschnabel. Dadurch erweckt er den Eindruck, als wenn die gesamte Vogelschar wegen eines anfliegenden Habichts in heller Aufregung sei. „Ich bin erstaunt, dass ein so kleiner Vogel so viele anderer Arten imitieren kann, darunter auch viele, die viel größer sind als er selbst“, sagt Igic. „Das ist ganz schön raffiniert.“

Warnrufe von den „Nachbarn“

Ob und wie der Nesträuber auf diesen Alarm-Chorus reagiert, haben die Forscher im Experiment ausgetestet. Sie spielten Currawongs, einem knapp 20 Zentimeter großen, rabenähnlich aussehenden Nesträuber, den Alarm-Chorus des Dornschnabels vor, während sie Fleischstückchen aus einem Pseudonest stehlen wollten.

Das Ergebnis: Sobald der Alarm ertönte, blickte der Nesträuber nach oben, um den vermeintlichen Feind zu suchen. Denn auch er gehört durchaus zum Beuteschema der dort heimischen Habichte. Dabei war er deutlich länger abgelenkt, wenn der Ruf nicht von seiner Beute, dem Dornschnabel, stammte, sondern vermeintlich von einer anderen „unbeteiligten“ Vogelart. Einige der Currawongs flohen sogar, als sie diese Alarmrufe hörten – die Nestlinge des Dornschnabels wären gerettet.

Mimikry schützt vor Abstumpfung

Nach Ansicht der Forscher könnte genau dies auch der Grund sein, warum der kleine Sperlingsvogel diese Mimikry einsetzt: „Wie in der Geschichte vom kleinen Jungen, der ständig Wolfsalarm ruft, ohne dass ein Wolf da ist, nimmt die Wirkung dieser Täuschung ab, wenn sie zu oft eingesetzt wird“, erklären die Wissenschaftler. Zudem ist das Alarm-Rufen eine im Vogelreich durchaus gängige Ablenkungsstrategie, die auch die Nesträuber irgendwann durchschauen könnten.

Kommt der Alarm aber von immer anderen Arten, dann bleibt diese Abstumpfung aus. Der Nesträuber ist schon anhand der schieren Vielfalt der Warnungen überzeugt, es nähere sich ein Greifvogel. „Es ist keine überragende Mimikry, aber sie reicht völlig aus, um den Räuber zu täuschen“, sagt Igic. (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2015; doi: 10.1098/rspb.2015.0798)

(Australian National University, 03.06.2015 – NPO)

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