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Mikrobiologie

Hunderte plastikfressende Pilze und Bakterien gefunden

Plastikproben aus chinesischen Salzwiesen beherbergen 239 plastikabbauende Mikrobensorten

Plastikflaschen
Könnten wir umweltschädliche Berge aus PET-Flaschen und anderem Plastikmüll einfach loswerden, indem wir sie von Mikroben „aufessen“ lassen? © SamiSert/ iStock.com

Leckeres Plastik: Wissenschaftler haben in den Küstensalzwiesen von Dafeng in China insgesamt 184 plastikabbauende Pilz- und 55 Bakterienstämme nachgewiesen. Diese „Plastikfresser“ können den Kunststoff Polycaprolacton (PCL) abbauen, der häufig bei der Herstellung verschiedener Polyurethane zum Einsatz kommt. Einige Bakterien haben zudem das Potenzial, auch andere Polymere auf Erdölbasis abzubauen, so die Forschenden. Die neuen Plastikfresser könnten dabei helfen, die globale Plastikkrise zu bewältigen.

Unser Planet ist voller Müll. Laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen werden jährlich 400 Millionen Tonnen Plastikmüll produziert, Tendenz steigend. Da die aus Erdöl erzeugten Polymere kaum biologisch abbaubar sind, lassen sie sich nur schwer wieder aus der Umwelt entfernen. Doch glücklicherweise sind wir beim Kampf gegen die Plastikflut nicht allein. 2016 haben Forschende erstmals ein plastikfressendes Bakterium entdeckt, das den Kunststoff PET mithilfe zweier Enzyme in seine Grundbestandteile zersetzen kann. Mittlerweile sind über 400 plastikabbauende Pilz- und Bakterienarten bekannt.

Salzwiesen und Petri-Schale
Die Küstensalzwiesen von Dafeng und kultivierte Mikroben, die auf Plastikproben aus dem Gebiet gefunden wurden. © Irina Druzhinina und Feng Cai

Plastikgourmets in den Salzwiesen

Auf der Suche nach weiteren vielversprechenden Plastikfressern im Reich der Mikroben haben Forschende um Guan Pang von der Landwirtschaftlichen Universität Nanjing nun Kunststoffabfälle im ostchinesischen Dafeng untersucht. Das von der UNESCO geschützte Feuchtgebiet liegt an der Küste des Gelben Meeres und umfasst unter anderem Küstenwatt und Salzwiesen. Pangs Team sammelte an drei sichtlich verschmutzten Stellen des Gebietes insgesamt 50 Plastikmüll-Proben, unter anderem aus Polyurethan (PU), Polyethylenterephthalat (PET) und Polyvinylchlorid (PVC).

Im Labor nutzten die Wissenschaftler dann die Methode des DNA-Metabarcodings, um anhand charakteristischer Erbgutsequenzen zu bestimmen, welche Arten von Mikroben sich auf den Kunststoffabfällen angesiedelt hatten. Anschließend untersuchten Pang und seine Kollegen, ob und welche Kunststoffe die gefundenen Pilze und Bakterien abbauen können.

PCL-abbauende Mikroben in Hülle und Fülle

Das Ergebnis: Insgesamt hatten sich 184 plastikfressende Pilzarten und 55 Bakterienstämme auf den Kunststoffproben angesiedelt und dort eine „Plastisphäre“ gebildet – ein Ökosystem auf Plastik. Diese Fülle an Mikroben überraschte das Forschungsteam zunächst, wie Koautorin Xuesong Li berichtet: „Anfangs hatten wir Bedenken, dass wir mit einer einzigen Probenahme nicht genügend Daten sammeln könnten, aber die bisherigen Ergebnisse waren überwältigend und wir mussten uns zurückhalten, nicht noch mehr Kulturen zu isolieren, um ihre Eigenschaften zu untersuchen.“

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Alle in den Proben gefundenen Stämme sind ersten Tests zufolge dazu in der Lage, Polycaprolacton (PCL) abzubauen. PCL ist ein biologisch abbaubarer Polyester auf der Basis von Erdöl, der häufig bei der Herstellung verschiedener Polyurethane zum Einsatz kommt. Diese wiederum stecken in zahlreichen Produkten unseres Alltags, zum Beispiel in Kühlschränken, Turnschuhen oder in Gebäude-Dämmung.

Pilze mit Plastikhunger

Die in Dafeng gefundenen Pilzstämme gehören 14 verschiedenen Gattungen an, darunter den Alternaria, einer weltweit verbreiteten Gruppe von Schimmelpilzen. Darüber hinaus konnte das Team auch die landwirtschaftlichen Schädlinge Fusarium und Neocosmospora nachweisen, die ihre Nährstoffe normalerweise parasitär aus Pflanzen beziehen. Doch offenbar gelingt ihnen das auch bei PCL-Kunststoffen und zwar deutlich besser als jenen Pilzen, die sich sonst von abgestorbenen Pflanzen- und Tierresten ernähren, wie Pangs Team herausgefunden hat.

In der Natur haben einige Pilze im Laufe von Jahrmillionen besondere Enzyme entwickelt, mit denen sie komplexe organische Verbindungen wie Zellulose, Kohlenhydrate oder Proteine spalten können, um daraus Kohlenstoff zu gewinnen. Diese Fähigkeiten kommen ihnen nun offenbar auch beim Abbau von Kunststoffen zugute, die sie ebenso als Kohlenstoffquelle nutzen.

Vielversprechende Bakterienstämme entdeckt

Neben den Pilzen aus Dafeng identifizierte das Forschungsteam auch zwei Bakteriengattungen als vielversprechende Kandidaten für den Kunststoffabbau: Streptomyces und Jonesia. Während Streptomyces als bedeutende Gruppe von Antibiotika-Produzenten gilt, ist Jonesia erst kürzlich entdeckt worden. In beiden Gattungen haben die Wissenschaftler Stämme identifiziert, die offenbar das Potenzial haben, neben PCL auch andere Polymere auf Erdölbasis abzubauen. Insbesondere die Art Jonesia quinghaiensis habe unter den 55 auf Kunststoffen gefundenen Bakterienstämmen dominiert.

Laut Forschungsteam steckt das Verständnis der kunststoffassoziierten Mikroorganismen allerdings noch in den Kinderschuhen. Die Wissenschaftler hoffen jedoch, mit ihrer aktuellen Arbeit deutliche Fortschritte auf dem Gebiet zu machen. „Wir haben kaum an der Oberfläche gekratzt und bereits eine Fülle von potenziell vielversprechenden Ressourcen für zukünftige Technologien entdeckt“, so Pangs Kollege Feng Cai. (Journal of Hazardous Materials, 2023; doi: 10.1016/j.jhazmat.2023.131399)

Quelle: Kew Gardens, Journal of Hazardous Materials

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