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Genetik

Verursacher der „großen Hungersnot“ entschlüsselt

Molekularbiologen rekonstruieren die Verbreitung des Kartoffelfäule-Erregers

Eine von Kartoffelfäule befallenen Knolle © USDA

Die Pilzkrankheit Kartoffelfäule schrieb Geschichte. Denn sie löste Mitte des 19. Jahrhunderts in Irland eine große Hungersnot aus, in deren Folge Millionen Iren starben und mindestens eine weitere Million in die USA auswanderte. Welche Stamm des Erregers genau für diese Pflanzenkrankheit verantwortlich war, war bisher unklar. Jetzt zeigt sich: Schuld war ein Erregerstamm, der über Nordamerika nach Europa eingeschleppt wurde. Seinen genetischen Code haben Forscher jetzt aus Herbariums-Pflanzen isoliert und bestimmt.

Phytophthora infestans ist ein sogenannter Eipilz, ein aus Sporen keimender Organismus, der ähnlich wie die höheren Pilze ein Geflecht aus Pilzfäden hervorbringen kann. Er befällt vor allem Nachtschatten-Gewächse wie Tomaten und Kartoffeln. Bei diesen werden zunächst die Blätter vom Rand her braun, dann entsteht auf ihrer Unterseite ein weißer Pilzrasen. Über Öffnungen im Gewebe gelangt der Pilz auch in die Knollen und macht sie ungenießbar.

Grundnahrungsmittel vernichtet

Mitte des 19. Jahrhunderts bildete die Kartoffel das „täglich Brot“ von weiten Teilen der Bevölkerung Irlands. Die nahrhaften Knollen sorgten dafür, dass selbst eine Großfamilie von einem kleinen Stück Land leben konnte. 1845 jedoch breitete sich die Kartoffelfäule in Irland dramatisch aus. In diesem und den Folgejahren wurden große Teile der irischen und europäischen Ernten vernichtet. Als Folge verhungerten Million Iren, mindestens eine weitere Million verließ das Land – die meisten davon in Richtung USA. Bis heute hat die Bevölkerungszahl Irlands nicht wieder die Höhe von vor der Hungersnot erreicht.

Bis vor etwa 40 Jahren gab es in Nordamerika und in Europa nur einen einzigen Typ von Phytophthora infestans, genannt US-1. Der US-1 Stamm galt daher lange auch als Verursacher des fatalen ersten Ausbruchs im 19. Jahrhundert. Jetzt aber haben Kentaro Yoshida vom Sainsbury Laboratory in Norwich und seine Kollegen neue Erkenntnisse über den eigentlichen Schuldigen gewonnen. Für ihre Studie hatten sie das gesamte Erbgut von Phytophthora und seinen Kartoffelwirten aus elf historischen Proben analysiert. Diese waren in Irland, Großbritannien, Kontinentaleuropa und Nordamerika gesammelt und in den Herbarien der Botanischen Staatssammlung München und der Kew Gardens in London aufbewahrt worden.

Kartoffelblatt aus der Sammlung der Kew Gardens aus dem Jahr 1847, gesammelt auf dem Höhepunkt der irischen Hungersnot. © Marco Thines/Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

„Der Erhaltungsgrad der DNA aus den Herbarien hat uns sehr überrascht“, sagt Koautor Johannes Krause von der Universität Tübingen. Die bemerkenswerte Qualität und Quantität der DNA in den elf Herbarbelegen erlaubte es dem Forscherteam, das gesamte Erbgut von Phytophthora infestans innerhalb von wenigen Wochen auszulesen. Die Wissenschaftler verglichen die historischen Proben mit modernen Stämmen sowie mit zwei nah verwandten Phytophthora-Arten. Aufgrund der 150 Jahre langen Zeitspanne, über die die einzelnen Proben gesammelt worden waren, konnten die Wissenschaftler genau abschätzen, wann sich die verschiedenen Phytophthora-Stämme voneinander trennten.

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Erreger kam aus Nordamerika

Das Ergebnis: Der historische Erreger, den das Forscherteam HERB-1 genannt hat, ist demnach zwar nicht mit dem US-1 Stamm identisch, aber sehr nahe mit ihm verwandt. „Beide Linien haben sich vermutlich erst Jahre vor dem großen europäischen Ausbruch voneinander getrennt“, erläutern die Forscher. Die neuen Befunde stimmen damit auch mit den historischen Erkenntnissen überein, dass die Kartoffelfäule höchstwahrscheinlich über Nordamerika nach Europa kam.

„Es war eine regelrechte Pandemie“, so Yoshida. Und Irland sei nur der erste, besonders traurige Höhepunkt gewesen. HERB-1 wütete weltweit über 50 Jahre lang, ohne dass sich der Erreger genetisch stark veränderte. Erst im 20. Jahrhundert, nachdem neue Kartoffelsorten eingeführt worden waren, wurde HERB-1 von US-1 als erfolgreichster P. infestans Stamm abgelöst. Der historische HERB-1 Stamm ist aus modernen Ausbrüchen bislang nicht bekannt. „Womöglich ist dieser Erregertyp ausgestorben, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten resistenten Kartoffelpflanzen gezüchtet wurden“, spekuliert Yoshida. „Auf jeden Fall sind die Erkenntnisse aus dieser Studie sehr wertvoll, um die Dynamik von neu auftretenden Krankheitserregern besser zu verstehen.“ Darüber hinaus kann man davon ausgehen, dass bald viele weitere in Herbarien schlummernde Schätze gehoben werden.

(Max-Planck-Gesellschaft, 21.05.2013 – NPO)

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