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Neurobiologie

Versuch und Irrtum: Gehirn lernt mit Fehlern

Falsche Nervenzell-Verknüpfungen werden nachträglich wieder abgebaut

Verknüpfung zwischen Moosfaser-Nervenzellen (grün) und Purkinje-Nervenzellen (rot) während der Hirnreifung und zwei Wochen später nach Eliminierung falschen Verbindungen. © Scheiffele

Die Ausbildung der Nervenzell-Verknüpfungen in unserem Gehirn ist durchaus nicht immer zielgerichtet und fehlerfrei. Stattdessen entstehen im frühesten Kindesalter auch „falsche“ Verbindungen, die später durch ein spezielles Protein wieder getrennt werden – das Gehirn lernt offenbar auch durch Irrtümer. Das zeigt jetzt eine in der Fachzeitschrift „PloS Biology“ veröffentlichte Studie Schweizer Forscher.

Das Gehirn ist ein hochkomplexes Vernetzungssystem, in dem Tausende unterschiedlicher Nervenzellen neuronale Verbindungen, sogenannte synaptische Verknüpfungen, mit anderen Nervenzellen eingehen. Dabei bilden die Nervenzellen sogenannte Axone, faserförmige Fortsätze, die in verschiedene Gehirnregionen hineinwachsen, um dort Verknüpfungen zu anderen Nervenzellen herzustellen. Normalerweise gibt es für diese Verknüpfungen jeweils einen Sollpartner jeder Gehirnzelle.

Verknüpfung mit „falschen Partnern“

Dass im Säuglingsalter aber durchaus auch zunächst „falsche“ Verknüpfungen vorkommen können, haben jetzt Forscher um Peter Scheiffele am Biozentrum der Universität Basel herausgefunden. In Versuchen an Mäusen untersuchten die Wissenschaftler mit Hilfe eines fluoreszierenden Proteins, wie und wohin die so genannten Moosfaserzellen, Gehirnzellen des Kleinhirns, ihre Verbindungen aufbauen.

Es zeigte sich, dass sich im Zuge der Gehirnentwicklung diese Moosfaser-Nervenzellen häufig zunächst mit den sogenannten Purkinje-Nervenzellen verknüpfte – obwohl ihr eigentlicher Bindungspartner die so genannten Körner-Nervenzellen sind. Diese ersten Fehlverbindungen sind daher in einem entwickelten Gehirn nicht vorgesehen und werden innerhalb einer Woche wieder getrennt.

Protein BMP4 sorgt für Aufhebung fehlerhafter Verbindungen

„Wenn falsche Verknüpfungen zwischen Nervenzellen im Gehirn nicht anschließend wieder eliminiert werden, kann dies zu erheblichen Störungen im Gehirn führen. Auch Autismus könnte mit dieser Form der ausbleibenden Fehlerkorrektur in Verbindung stehen“, so Scheiffele. Zuständig für die Fehlerbehebung ist das Protein BMP4, das die Auflösung der zuvor geschaffenen Verbindung einleitet. Ursprünglich wurde BMP4 mit der Spezialisierung von Zellen bei der Knochenbildung in Zusammenhang gebracht. Dass das Protein auch für den Abbruch von neuronalen Verbindungen verantwortlich ist, wusste man bisher nicht.

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„Die Ereignisse lassen sich auch auf die Entwicklung des menschlichen Gehirns übertragen und könnten für die weitere Hirnforschung eine wichtige Rolle spielen“, so Scheiffele. Denn auch das menschliche Gehirn unterliegt im Laufe eines Lebens drastischen Veränderungen. Während die neuronalen Verknüpfungen im Gehirn eines Neugeborenen noch relativ unspezifisch sind, steigert sich die Selektivität der neuronalen Verbindungen fortlaufend. Kurz: Das Gehirn lernt.

Das Aufkommen dieser fehlerhaften transienten Verbindungen könnte Teil dieses Lernprozesses sein. Die Frage, welchen Vorteil diese nur für kurze Zeit bestehenden Verbindungen zwischen Nervenzellen für die Gehirnentwicklung bedeutet, wird in der weiteren Forschungsarbeit Scheiffeles nun im Vordergrund stehen. (PLoS Biology, 2011; DOI: 10.1371/journal.pbio.1001013)

(Universität Basel, 10.02.2011 – NPO)

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