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Genetik

Vampire mit Gendefekt

Genmutationen erklären einige Anpassungen der Vampirfledermäuse an ihre Blutnahrung

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Die Vampirfledermaus Desmodus rotundus hat einige genetische Anpassungen an ihre ungewöhnliche Lebensweise. © Brock Fenton

Einzigartige Anpassungen: Vampirfledermäuse sind die einzigen Säugetiere, die sich nur von Blut ernähren. Jetzt enthüllt eine Genom-Analyse, wie die Tiere mit dieser einseitigen Nahrung klarkommen. Demnach tragen diese Fledermäuse mehrere Genmutationen, durch die sie unter anderem den Eisenüberschuss und die Kohlehydrat-Armut ihrer Blutmahlzeiten ausgleichen. Ein weitere Gendefekt könnte die überdurchschnittlichen kognitiven und sozialen Fähigkeiten dieser Tiere erklären.

Vampirfledermäuse machen ihrem Namen alle Ehre: Sie sind die einzigen Landwirbeltiere, die sich ausschließlich von Blut ernähren. Dafür haben sie einige einzigartige Anpassungen entwickelt. So können sie als einzige Säugetiere infrarote Strahlung sehen und damit ihre Opfer an deren Wärmesignatur erkennen. Ihr Speichel enthält zudem ähnlich wie bei Stechmücken ein Antigerinnungsmittel, dafür ist ihr Geschmackssinn stark reduziert.

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Nahansicht der Vampirfledermaus Desmodus rotundus. © Marco A. R. Mello (https://casadosmorcegos.wordpress.com)

Blut ist ein ziemlich einseitiger Saft

Unklar war jedoch bisher, wie die Vampirfledermäuse mit ihrer speziellen Ernährung zurechtkommen. So besteht das Blut zu 78 Prozent aus Wasser, weshalb die Fledermäuse pro Blutmahlzeit das 1,4-Fache ihres Körpergewichts aufnehmen müssen, um überhaupt genügend Nährstoffe zu erhalten. In Anpassung daran ist ihr Magen extrem dehnbar und verfügt über spezielle Mechanismen zur schnellen Flüssigkeitsabsorption.

Gleichzeitig stellt Blut eine extrem einseitige Ernährung dar: Es enthält zwar viel Protein, aber Zucker und Fett fehlen weitestgehend. Durch den hohen Eisengehalt des Bluts nehmen die Vampirfledermäuse zudem etwa 800-mal mehr Eisen zu sich als ein Mensch. Um herauszufinden, welche genetischen Anpassungen die Vampirfledermäuse an diese spezielle Blutnahrung besitzen, haben nun Moritz Blumer vom Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden und seine Kollegen das Erbgut dieser „Vampire“ näher untersucht.

Für ihre Studie verglichen sie das Genom der Gemeinen Vampirfledermaus (Desmodus rotundus) mit dem von 26 weiteren Fledermausarten, darunter sechs nicht blutsaugende Spezies aus der engeren Verwandtschaft der Vampire.

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13 Gene ausgeschaltet

Die Genanalysen enthüllten: Bei den Vampirfledermäusen sind 13 Gene deaktiviert, die die meisten anderen Fledermäuse und viele Säugetiere besitzen. Diese Gene sind bei Desmodus zwar noch vorhanden, tragen aber Mutationen, die sie funktionslos machen. Während drei dieser Gene – für die Geschmacksrezeptoren des Süß- und Bittergeschmacks, bereits bekannt waren, haben Blumer und sein Team die restlichen zehn Gendefekte erst jetzt erstmals nachgewiesen.

Der Verlust dieser Genfunktionen erklärt einige der speziellen Anpassungen der Vampirfledermäuse an ihre Blutnahrung, wie das Team erklärt. So sind zwei Gene defekt, die normalerweise die Ausschüttung des blutzuckerregulierenden Hormons Insulin fördern. Weil die Vampirfledermäuse aber kaum Zucker und Kohlenhydrate mit ihrer Nahrung aufnehmen, wird kaum Insulin benötigt. Aus dem gleichen Grund ist ein weiteres Gen, PPP1R3E, deaktiviert, das normalerweise bei der Verarbeitung der Glucose-Speicherform Glycogen im Körper hilft.

Darmzellen helfen beim Eisenabbau

Auch eine genetische Anpassung an den extremen Eisenüberschuss in der Blutnahrung konnte das Forschungsteam finden: Eines der bei den Vampirfledermäusen deaktivierten Gene hemmt normalerweise den Transport von Eisen aus dem Blutkreislauf in die Zellen der Darminnenwand. Der Verlust dieses Gens trägt dazu bei, dass die Darmzellen besonders viele Eisenrezeptoren tragen und sich dadurch überschüssiges Eisen in den Darmzellen anreichern kann.

Der Clou dabei: Bei den Vampirfledermäusen sind die Zellen der Darminnenwand sehr kurzlebig und werden ständig in das Darmvolumen abgegeben. Mit diesen Zellen werden die Fledermäuse dann gleichzeitig auch das überschüssige Eisen wieder los und können so ihren Eisenhaushalt regulieren, wie Blumer und seine Kollegen erklären. Weitere Gendefekte in Anpassung an die einseitige Blutnahrung umfassen Gene für die Fettverdauung und einige proteinabbauende Enzyme.

Gendefekt könnte kognitive Besonderheiten erklären

Interessant auch: Eines der deaktivierten Gene könnte eine wichtige Rolle für die ungewöhnlich fortgeschrittenen kognitiven und sozialen Fähigkeiten der Vampirfledermäuse spielen. Sie teilen beispielsweise Blut mit anderen hungernden Individuen, und bevorzugen dabei diejenigen, die ihnen in der Vergangenheit geholfen haben – eine Fähigkeit, die ein sehr gutes soziales Langzeitgedächtnis erfordert. Zudem haben die Vampirfledermäuse eine etwas größere Hirnrinde als andere Fledermausarten.

Ein genetischer Faktor dahinter könnte die Deaktivierung des Gens CYP39A1 sein, wie das Forschungsteam berichtet. Denn dieser Genverlust fördert die Anreicherung des Stoffwechselprodukts 24S-Hydroxylcholesterin im Gehirn der Tiere. Studien mit anderen Säugetieren haben bereits gezeigt, dass eine höhere Konzentration dieses Moleküls Gedächtnis, Lernen und soziales Verhalten fördern kann.

Komplett farbenblind

Und noch etwas enthüllten die Genanalysen: Vampirfledermäuse und vier ihrer Verwandten sind wahrscheinlich farbenblind. Denn eines der defekten Gene, PDE6H, kontrolliert normalerweise die Produktion eines Moleküls, das für die Funktion der Zapfen im Auge essenziell ist. „Beim Menschen führt der Verlust dieses Gens zur totalen Farbenblindheit“, erklären Blumer und seine Kollegen.

Bei Mäusen und Fledermäusen gibt es zwar ein weiteres Gen, das diesen Verlust ausgleichen kann. Doch den Vampirfledermäusen fehlt auch dieses kompensierende Gen. „Das spricht dafür, dass Desmodus rotundus und vier andere nachtaktive Noctilionoidea funktionelle Stäbchen-Monochromaten sind“, so das Team. Weil diese Fledermausarten nur in stockdunkler Nacht unterwegs sind, benötigen sie kein Farbensehen. (Science Advances, 2022; doi: 10.1126/sciadv.abm6494)

Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen

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