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Paläontologie

Urzeit-Chimäre verblüfft Paläontologen

Fossilien einer unbekannten Krabbenform widersprechen gängigem Bauplan

Callichimaera
So könnte die Urzeit-Krabbe Callichimaera perplexa vor 95 Millionen Jahren ausgesehen haben – sie ähnelt eher einem Mischwesen als einer typischen Krabbe. © Oksana Vernygora/ University of Alberta

Bizarres Mischwesen: Paläontologen haben in Kolumbien und den USA Fossilien einer extrem untypischen Urzeit-Krabbe entdeckt – einem Experiment der Evolution, wie die Forscher erklären. Denn das 95 Millionen Jahre alte Wesen vereint Merkmale gleich mehrerer Krebsformen in sich. Mit seinen großen Komplexaugen und Schwimmbeinen bildet es einen zuvor unbekannten, sehr eigentümlichen Seitenast der Krabbenstammbaums.

Wie eine typische Krabbe – fachsprachlich Brachyura – aussieht, kennen die meisten von uns vom Strand: ein breiter, dicker Panzer, kräftige Scheren und eher kleine, gestielte Augen. Mit rund 7.000 lebenden und weiteren 3.000 fossilen Arten gehören die Krabben zu den artenreichsten Gruppen der Krebstiere. Doch weil vor allem aus den Tropen nur wenige Fossilien erhalten sind, ist der Stammbaum der Krabben bisher eher lückenhaft.

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Fossil von Callichimaera perplexa. © Daniel Ocampo R./ Vencejo Films

„Schnabeltier der Krabbenwelt“

Eine dieser Lücken schließt nun der Fund einer extrem ungewöhnlichen Urzeit-Krabbe. Entdeckt haben sie Javier Luque von der University of Alberta in Edmonton und sein Team sowohl in Kolumbien als auch in den USA in einer 90 bis 95 Millionen Jahre alten Gesteinsformation. Zwischen hunderten anderer Krebse stießen die Paläontologen auf Dutzende von Fossilien, die in keine Krebsgruppe zu passen schienen.

„Diese Tiere hatten die Komplexaugen von Larven, das Maul einer Garnele, die Scheren von Froschkrabben und den Panzer eines Hummers“, berichtet Luque. Weil dieses Fossil damit einer Chimäre – dem Mischwesen der griechischen Sagen – ähnelte und die Paläontologen zu Staunen brachte, tauften sie es Callichimaera perplexa. „Callichimaera perplexa ist so einzigartig und merkwürdig, dass man es als Schnabeltier der Krabbenwelt betrachten könnte“, so die Forscher.

Eine weitere Besonderheit sind die Schwimmbeine dieses Krebstieres. Denn statt der hinteren Gliedmaßen nutzte Callichimaera ihre paddelartig verbreiterten Brustbeine zum Schwimmen. „Das ist seit dem Aussterben der paddelbeinigen Seeskorpione vor 250 Millionen Jahren der erste marine Arthropode, der solche Thorax-Schwimmbeine besitzt“, sagen die Forscher. Auch darin sei Callichimaera einzigartig.

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Ein Experiment der Evolution

Doch worum handelte es sich bei dieser „Chimäre“ aus dem Kreidezeitmeer? Viele Merkmale sprechen dafür, dass es sich hier trotz aller Eigenheiten um einen Vertreter der Brachyura, der echten Krabben handeln muss, wie die Forscher erklären. “ Callichimaera bricht jedoch alle Regeln dafür wie eine Krabbe auszusehen hat und zwingt uns, die Definition dessen, was eine Krabbe zur Krabbe macht, noch einmal zu überdenken“, sagt Luque.

Die Paläontologen vermuten, dass Callichimaera einen bisher unbekannten Seitenast der Krabben darstellt. Wie sie erklären, lebte dieses ungewöhnliche Wesen zu einer Zeit, als die Krabben eine Phase starker Differenzierung durchlebten. Die Evolution scheint damals noch mit verschiedensten Körperformen experimentiert zu haben, so Luque und seine Kollegen. Der Fund von Callichimaera-Fossilien sowohl in Kolumbien wie in den rund 4.000 Kilometer entfernten USA spricht dafür, dass dieses Experiment der Evolution damals durchaus weit verbreitet war.

Larven-Merkmale bis ins Erwachsenenalter

Die Paläontologen vermuten, dass der merkwürdig zusammengewürfelte Bauplan der Krabben-„Chimäre“ zumindest teilweise durch die Beibehaltung einiger Larvenmerkmale bis ins Adultstadium zustande kam. „Callichimaera ähnelt auf den ersten Blick dem Larvenstadium der Megalopa, dem Übergangsstadium von der planktischen Zoea-Larve und den am Meeresgrund lebenden Jungkrabben“, berichten die Forscher. Doch an den Fossilien sei erkennbar, dass diese Tiere ausgewachsen waren.

Erstaunlich ist der Fund dieses Wesens auch deshalb, weil es relativ spät in der Entwicklungsgeschichte der Krabben lebte. „Es kommt häufiger vor, dass man neue Baupläne in sehr viel älteren Gesteinen findet, beispielsweise aus dem Erdaltertum“, sagt Luque. „Dieser Fund aus der mittleren Kreidezeit jedoch zeigt uns, dass es auch seltsame Organismen jüngeren Alters zu entdecken gibt. Das weckt die Frage, was es dort draußen noch alles auf seine Entdeckung wartet.“ (Science Advances, 2019; doi: 10.1126/sciad.aav3875)

Quelle: University of Alberta, Yale University

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