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Biologie

Unmengen Zucker im Meeresgrund

Zwischen den Wurzeln von Seegraswiesen lagern weltweit rund eine Million Tonnen Zucker

Neptungras
Seegras wie hier das Neptungras Posidonia oceanica geben überraschend große Mengen an Zucker an den Meeresgrund ab. © HYDRA Marine Sciences GmbH

Überraschender Fund: Unter den Seegraswiesen der Ozeane liegt eine riesige Menge Zucker verborgen, wie eine Studie enthüllt. Demnach lagern im Wurzelbereich dieser Wasserpflanzen weltweit rund 600.000 bis 1,3 Millionen Tonnen Zucker – soviel wie in 32 Milliarden Dosen Cola. Das Seegras setzt diesen Zucker frei, wenn es mehr davon produziert als es selbst verbrauchen kann. Unerwartet ist jedoch, dass dieser Zucker nicht längst von Bakterien abgebaut wurde.

Seegräser wie das Neptungras Posidonia oceanica bilden üppige Unterwasserwiesen in vielen Küstenregionen der Ozeane. Sie gelten als besonders artenreiche und wertvolle Lebensräume des Meeres und gleichzeitig als wichtige Klimapuffer: Ein Quadratkilometer Seegras speichert fast doppelt so viel Kohlenstoff wie ein Wald an Land und das 35-mal so schnell. Allerdings sind die Seegraswiesen in vielen Meeresgebieten akut durch den Klimawandel und die Wasserverschmutzung bedroht. Bis zu einem Drittel des weltweiten Seegrasbestandes könnte bereits verloren gegangen sein. Umso wichtiger ist es, möglichst viel über diese wichtigen Wasserpflanzen und ihre Biologie zu erfahren.

Probennahme
Entnahme von Porenwasserproben im Wurzelbereich einer Seegraswiese. © HYDRA Marine Sciences GmbH

Deshalb hat nun ein Forschungsteam um Maggie Sogin vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen erstmals genauer untersucht, was im Wurzelbereich der Seegraswiesen vor sich geht. Dafür nahmen sie Proben des Porenwassers aus dem Sediment unter Seegraswiesen vor der Insel Elba, in der Karibik und in Ostsee bei Kiel. Die Proben unterzogen sie dann einer chemischen Analyse mittels Gaschromatografie und Massenspektrometrie.

Süße Entdeckung im Meeresgrund

Das überraschende Ergebnis: Im Wurzelbereich des Seegrases fand das Team eine ungewöhnlich hohe Konzentration von Zuckern. „Die Zucker machten rund 40 Prozent aller gelösten organischen Verbindungen unter den Seegraswiesen aus“, berichten Sogin und ihr Team. Der größte Teil dieser Zucker bestand dabei aus Saccharose – dem Molekül, aus dem auch unser Haushaltszucker besteht. Dessen Konzentration erreicht teilweise mehr als 50 Mikromol. Aber auch andere Zuckerformen wie Glucose, Trehalose oder Mannitol fanden sich unter den Wasserpflanzen.

Insgesamt lag die Konzentration der Zucker unter dem Seegras mindestens 80-mal höher als je zuvor irgendwo im Meer gemessen. Rechnet man hoch, wie viele Seegrasflächen es weltweit in den Ozeanen gibt, dann kommen enorme Mengen zusammen: „Wir schätzen, dass weltweit zwischen 0,6 und 1,3 Millionen Tonnen Zucker, hauptsächlich in Form von Saccharose, in der Seegras-Rhizosphäre lagern“, erklärt Seniorautor Manuel Liebeke vom Max-Planck-Institut. „Das entspricht ungefähr der Menge an Zucker in 32 Milliarden Dosen Cola.“

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Wurzeln als „Überlaufventil“

Die höchsten von den Forschenden gemessenen Zuckerkonzentrationen traten im Porenwasser zwischen den Seegraswurzeln auf. Nähere Untersuchungen enthüllten jedoch, dass auch die Wurzeln selbst und ihre äußere Zellschicht besonders viel Zucker enthielten. Nach Angaben der Wissenschaftler legt dies nahe, dass die Wasserpflanzen diesen Zucker durch die Photosynthese in ihren Blättern produzieren und dann einen Teil davon über ihre Wurzeln an den Boden abgeben.

„Unter durchschnittlichen Lichtverhältnissen verwenden die Pflanzen den Großteil dieses Zuckers für ihren eigenen Stoffwechsel und ihr Wachstum“, erklärt Sogins Kollegin Nicole Dubilier. „Aber bei sehr starkem Licht, zum Beispiel zur Mittagszeit oder im Sommer, produzieren sie mehr Zucker als sie verbrauchen oder speichern können. Dann geben sie die überschüssige Saccharose in ihre Rhizosphäre ab. Es ist quasi ein Überlaufventil.“

Saccharose
Konzentrationen von gelösten organischen Verbindungen (DOC) und Saccharose im Wurzelbereich der Seegraswiesen. © Sogin et al./ Nature Ecology & Evolution, CC-by-sa 4.0

Warum werden die Zucker nicht abgebaut?

Überraschend ist jedoch nicht nur die schiere Menge des vom Seegras in den Meeresgrund abgegebenen Zuckers – auch die Tatsache, dass diese Zucker im Sediment erhalten bleiben, ist unerwartet, wie das Team erklärt. Denn die energiereichen Zuckerverbindungen werden in der Natur normalerweise schnell von Bakterien und anderen Mikroorganismen abgebaut. Im Wurzelbereich der Seegraswiesen scheint dies aber nicht oder nur wenig der Fall zu sein.

Warum das so ist, enthüllten ergänzende Versuche mit Seegras im Labor. Sie zeigten, dass die Wasserpflanzen zusätzlich zu den Zuckern auch Phenole wie Kaffeesäure und Cichoriensäure ans Sediment abgeben. Von diesen ringförmigen Kohlenwasserstoffen ist bekannt, dass sie antimikrobiell wirken können. Während solche Phenole unter sauerstoffreichen Bedingungen aber schnell abgebaut werden, ist dies in der sauerstoffarmen Umgebung des Meeresgrunds nicht das Fall.

„In diesen sauerstoffarmen Sedimenten können die vom Seegras produzierten Phenole nicht oxidiert werden und sammeln sich daher an“, erklärt das Forschungsteam. „Das hemmt den mikrobiellen Abbau der Saccharose und erlaubt es so, dass sich diese Zucker in der Seegras-Rhizosphäre anreichern.“

Wichtiger Puffer im Kohlenstoffkreislauf

Das Seegras ist wahrscheinlich nicht die einzige Wasserpflanze, die den Untergrund mit Zucker anreichert: „Wir vermuten, dass auch die Rhizosphären von anderen Wasserpflanzen hohe Konzentrationen von Saccharose und anderen Zuckern enthalten könnten“, schreiben Sogin und ihre Kollegen. Zumindest bei mehreren nicht verwandten Seegrasarten und bei einer Mangrove haben sie bereits ähnlich hohe Zuckerwerte im Wurzelbereich nachgewiesen. Aber auch in Reisfeldern, Sümpfen oder Marschland könnten Pflanzen diese verborgenen Zuckervorkommen erzeugen.

Damit hat die Entdeckung der „süßen Oasen“ unter den Seegraswiesen auch eine potenziell große Bedeutung für den globalen Kohlenstoffkreislauf. Denn die pflanzlichen Zucker binden Kohlenstoff und tragen damit zusätzlich zu seiner Speicherung bei – solange die Seegraswiesen intakt sind. Verschwinden diese Wasserpflanzen jedoch aus einem Gebiet, dann bleiben die hemmenden Phenole aus und die im Meeresgrund lagernden Zucker können von Bakterien abgebaut werden.

„Unsere Berechnungen zeigen, dass, wenn die Saccharose in der Seegras-Rhizosphäre durch Mikroben abgebaut würde, weltweit bis zu 1,54 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen würden“, erklärt Liebeke. „Das entspricht etwa der Menge an Kohlendioxid, die 330.000 Autos in einem Jahr ausstoßen.“ Damit mache die Studie auch deutlich, wie wichtig es sei, diese „blauen Kohlenstoffspeicher“ zu erhalten. (Nature Ecology & Evolution, 2022; doi: 10.1038/s41559-022-01740-z)

Quelle: Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie

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