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Neurobiologie

Überraschend sensibel fürs Abendlicht

Unsere Innere Uhr reagiert schon auf erstaunlich geringe Lichtmengen – und sehr individuell

Abendlicht
Unsere innere Uhr reagiert schon auf überraschend geringe Lichtmengen – vor allem bei einigen Menschen. © Nicholas Shkoda/ iStock.com

Sensibler Lichtsinn: Unsere innere Uhr reagiert sensibler auf abendliches Licht als bisher gedacht – und weit individueller, wie ein Experiment nun enthüllt. Demnach reicht bei einigen Menschen schon sehr schwaches Licht von wenigen Lux aus, um die abendliche Produktion des Schlafhormons Melatonin zu verzögern. Andere reagieren dagegen erst auf fast taghelles Licht. Das könnte erklären, warum einige Menschen besonders häufig unter Schlafproblemen leiden.

Unsere innere Uhr wird durch das Tageslicht geeicht: Wenn es abends dunkel wird, schüttet der Körper das Schlafhormon Melatonin aus. Als Folge werden wir müde und der Stoffwechsel fährt langsam herunter. Doch wo unsere Vorfahren noch einen natürlichen Tagesrhythmus erlebten, sorgen heute künstliches Licht, Schichtarbeit oder Jetlag für Störeinflüsse. Die Folge können Schlafprobleme, Depressionen, aber auch eine beeinträchtigte DNA-Reparatur und ein erhöhtes Krebsrisiko sein.

Abendlicht im Test

Doch wie viel abendliches Kunstlicht ist zu viel? Bisher gab es dazu wenige Daten, klar schien aber, dass schon Lichtstärken von weniger als 100 Lux zu einer Verzögerung der abendlichen Melatonin-Ausschüttung führen können. Wo jedoch die Untergrenze liegt und wie groß die individuelle n Unterschiede dabei sind, blieb unklar. Deshalb sind nun Andrew Phillips und seine Kollegen von der Monash University in Melbourne dieser Frage nachgegangen.

Für ihr Experiment setzten die Forscher 27 Männer und 29 Frauen sechs Wochen lang einem speziellen Lichtregime aus. Eine Woche lang verbrachten alle Probanden die vier Stunden vor ihrer üblichen Schlafenszeit bei weniger als einem Lux – extrem schwachem Dämmerlicht. Über Speichelproben ermittelten die Wissenschaftler in dieser Zeit den natürlichen Zeitpunkt der abendlichen Melatonin-Ausschüttung.

Dann folgten fünf Wochen, in denen die Teilnehmer diese vier Stunden bei Lichtstärken von jeweils 10 bis 2.000 Lux verbrachten. Anhand von Speichelproben testeten die Forscher nun, ob und wie stark sich die Melatonin-Ausschüttung veränderte.

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Sensibler als gedacht

Das Ergebnis: „Wir haben festgestellt, dass Menschen deutlich sensibler auf abendliches Licht reagieren als zuvor gedacht“, berichten Phillips und sein Team. Im Schnitt reichten schon knapp 25 Lux aus, um die Ausschüttung des Schlafhormons zu verzögern – die typische Innenraumbeleuchtung ist mit 50 Lux fast doppelt so hell. Die normale Abendbeleuchtung in unseren Wohnungen könne demnach durchaus schon Auswirkungen auf die innere Uhr haben, so die Forscher.

Die Wirkung des Lichts verstärkte sich dabei in Abhängigkeit von der Dosis: „Bei einer Lichtintensität von 10 Lux setzte die Melatonin-Ausschüttung 22 Minuten später ein als bei weniger als einem Lux, bei 30 Lux waren es 77 Minuten und bei 50 Lux im Schnitt 109 Minuten“, berichten die Forscher. „Das zeigt, dass schon relativ schwaches Licht substanzielle Effekte auf den Beginn der Melatonin-Ausschüttung hat.“

Erstaunliche individuelle Unterschiede

Noch überraschender jedoch waren die großen individuellen Unterschiede: Die innere Uhr einiger Probanden reagierten schon auf schwaches Licht von knapp drei Lux, während andere erst bei relativ hellem Licht von gut 300 Lux Effekte zeigten. „Die Sensitivität des Melatoninsystems kann sich demnach zwischen verschiedenen Menschen um mehr als eine Größenordnung unterscheiden“, so die Forscher.

Das bedeutet: „Selbst wenn zwei gesunde junge Menschen dem gleichen abendlichen Licht ausgesetzt sind, kann ihre Melatonin-Reaktion stark differieren“, erklären Phillips und seine Kollegen. Die typische Innenbeleuchtung von rund 50 Lux löst bei dem einen dann keinerlei Wirkung aus, während die innere Uhr des anderen darauf reagiert wie auf helles Tageslicht.

Ursache für verstärkte Schlafstörungen?

Nach Ansicht der Forscher könnte dies erklären, warum einige Menschen häufiger und stärker unter Schlafproblemen leiden als andere: Möglicherweise reagiert das Melatoninsystem der Betroffenen so sensibel auf Licht, dass schon die normale abendliche Beleuchtung in der Wohnung zu Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus führt. Tatsächlich haben einige frühere Studien schon eine erhöhte Lichtsensibilität bei Menschen mit solchen Störungen ergeben, wie die Wissenschaftler berichten.

Worauf diese starken individuellen Unterschiede zurückgehen, ist bisher noch unklar. Die Forscher vermuten aber, dass genetisch bedingte Unterschiede in der Sensibilität des suprachiasmatischen Nucleus, der Kernkomponente der inneren Uhr, dafür eine Rolle spielen. „Weitere Studien sind nun nötig, um die vielen potenziellen Mechanismen hinter diesen individuellen Unterschieden auseinander zu dividieren“, so Phillips und seine Kollegen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2019; doi: 10.1073/pnas.1901824116)

Quelle: PNAS

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