Forscher sind alarmiert: Zum ersten Mal ist die tödliche Prionenkrankheit CWD auch in Europa aufgetreten. Ein wildes Rentier in Norwegen starb im März an der bisher nur aus Nordamerika bekannten Seuche. Dort ist es bisher nicht gelungen, die für Hirsche und Elche hochansteckende Krankheit unter Kontrolle zu bekommen. Tiermediziner fürchten daher, die Prionenkrankheit könnte sich nun auch unter Europas Rentieren und Hirschen ausbreiten.
Spätestens seit der BSE-Epidemie bei Rindern oder Fällen der Creutzfeld-Jacob-Krankheit beim Menschen weiß man, dass fehlgefaltete Proteine, Prionen, tödliche Krankheiten verursachen können. In Nordamerika grassiert seit Jahren eine Prionenerkrankung unter wilden Hirschen. Diese sogenannte Chronic Wasting Disease (CWD) hat mindestens 20 Prozent der Hirsche befallen und wird durch durch den Kot von aasfressenden Krähen immer weiter verbreitet.
Erster CWD-Fall bei einem Rentier
Jetzt sorgt ein Fund in Norwegen für Besorgnis. Denn erstmals haben Forscher diese tödliche Prionenerkrankung nun bei einem Wildtier in Europa entdeckt. Nachgewiesen wurden die Prionen im Kadaver eines wildlebenden Rentiers in Norwegen. „Die kranke Rentierkuh wurde schon Mitte März 2016 vom Hubschrauber aus beobachtet“, berichtet Turid Vikøren vom Norwegischen Veterinär-Institut.
Als das Rentier starb, wurde es für eine Autopsie nach Oslo gebracht und das Gehirngewebe auf Spuren von Prionen untersucht. „Bei Hirschverwandten älter als 18 Monaten entnehmen wir routinemäßig eine Probe des Gehirngewebes für einen CWD-Test“, erklärt Vikøren. Zur Überraschung und Sorge der Forscher war die Probe positiv für CWD-Prionen.
Sorge um Europas Rentiere
„Das ist besorgniserregend – es ist eine fiese Krankheit“, sagt Vikøren Kollegin Sylvie Benestad. Es sei zudem der erste Fall weltweit einer CWD bei einem Rentier. Bisher habe man nicht sicher gewusst, ob diese Tierart anfällig für die Krankheit ist. Der Nachweis der Prionen in der Rentierkuh belegt nun, dass auch die europäischen Herden dieser Hirschverwandten in akuter Gefahr sein könnten.
Aus den Erfahrungen in den USA ist bekannt, dass diese Prionenerkrankung extrem ansteckend ist – und kaum zu bekämpfen. Ist ein Tier einmal infiziert, ist der langsame Tod unausweichlich. In Nordamerika versucht man schon seit Jahren durch Tötung ganzer Herden, der Ausbreitung der CWD-Epidemie Einhalt zu gebieten, bisher jedoch vergeblich.
Ansteckungsquelle unbekannt
Noch ist nicht bekannt, ob die erkrankte Rentierkuh in Nordwegen ein Einzelfall ist oder aber nur die Spitze eines Eisbergs. Die Forscher befürchten aber, dass sich die CWD nun unter den Rentieren ausbreiten könnte. Auch wie sich die Rentierkuh mit den Prionen anstecken konnte, ist bisher rätselhaft.
Theoretisch könnte dies durch importierte Hirsche aus den USA oder Kanada geschehen sein, doch das halten die Forscher eher für unwahrscheinlich, weil die befallene Rentierkuh ein Wildtier war. Eine andere Möglichkeit wäre eine Übertragung von einem Schaf, das an der eng verwandten Traber-Krankheit litt. Ein solcher direkter Artsprung der Prionen von Schafen auf Rentiere wäre allerdings ein Novum.
Die Wissenschaftler des Norwegischen Veterinär-Instituts wollen nun die wilden Populationen der Rentiere in ihrem Land genauer überwachen und Stichproben nehmen, um herauszufinden, wie weit sich die CWD bereits verbreitet haben könnte und woher die Prionen möglicherweise stammen.
(Norwegian Veterinary Institute, 19.04.2016 – NPO)