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Biologie

Tierisch viel los in Fukushima

Zahlreiche Wildtiere nutzen das verstrahlte Sperrgebiet als Refugium

Marderhunde
Ein Marderhund im Sperrgebiet von Fukushima. © University of Gerogia/ Lyons et al.

Gute Nachrichten aus Fukushima: Fast zehn Jahre nach der Atomkatastrophe in Fukushima leben wieder zahlreiche Wildtiere im Sperrgebiet. Wie Daten von Kamerafallen enthüllen, tummeln sich in der Region die unterschiedlichsten Arten – darunter Hasen, Hirsche und Bären. Viele Spezies sind in den besonders verstrahlten und von Menschen verlassenen Bereichen sogar zahlreicher anzutreffen als in der geringer belasteten, aber besiedelten Umgebung.

Die Atomkatastrophe im japanischen Kraftwerk Fukushima Daiichi hat von Anfang an auch Sorgen über die Folgen für die Natur geweckt: Wie wirkt sich die erhöhte Radioaktivität auf die Tierwelt in der Region aus? In diesem Zusammenhang haben Forscher im Laufe der vergangenen Jahre zum Beispiel einen Rückgang der Singvögel im Sperrgebiet dokumentiert.

Wildtierkameras am Unglücksort

Doch nun gibt es gute Nachrichten, wie Phillip Lyons von der University of Georgia in Aiken und seine Kollegen berichten: Fast zehn Jahre nach dem Atomunfall scheinen sich zahlreiche Wildtiere im Bereich rund um das Kraftwerk zu tummeln – und vor allem die von Menschen verlassenen Zonen zurückerobert zu haben.

Um herauszufinden, welche und wie viele Tiere in der Gegend von Fukushima leben, stellten die Wissenschaftler an 106 Stellen Kamerafallen auf. Dabei sammelten sie Daten aus drei unterschiedlichen Bereichen: dem besonders verstrahlten Sperrgebiet, das von Menschen im Normalfall nicht betreten werden darf, Zonen mit beschränktem Zugang sowie Bereichen, in denen die Bevölkerung trotz einer leicht erhöhten radioaktiven Belastung wohnen darf.

Von Hase bis Bär

In einem Zeitraum von 120 Tagen nahmen die Kameras über 267.000 Fotos von mehr als 20 Tierarten auf – darunter allein 46.000 Aufnahmen von Wildschweinen. Auch Japanische Hasen, Makaken, Füchse, Wiesel und Fasane tappten in die Kamerafallen. Darüber hinaus gelangen dem Forscherteam unter anderem Fotos von Marderhund, Sikahirsch, Schwarzbär und Larvenroller – eine Schleichkatzen-Art.

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„Unsere Ergebnisse sind der erste Beleg dafür, dass viele Wildtier-Spezies heute in der Fukushima-Evakuierungszone häufig sind – trotz der radioaktiven Kontamination“, erklärt Lyons‘ Kollege James Beasley.

Japanischer Serau
In die Kamerafalle getappt: Aufnahme eines Japanischen Seraus. © University of Georgia/ Lyons et al.

Je weniger Menschen, desto mehr Tiere

Das Spannende: Gerade im menschenleeren Sperrgebiet scheinen sich einige Tiere besonders wohlzufühlen und die Populationen dieser Arten vergleichsweise groß zu sein. So lösten beispielsweise Makaken und Japanische Marder die Kameras in der unbesiedelten Zone deutlich öfter aus als in den beschränkt zugänglichen oder bewohnten Bereichen. Für diese Arten ist das menschenleere Sperrgebiet offenbar eine Art Refugium geworden – ein ähnliches Phänomen ist bereits vom Tschernobyl-Sperrgebiet bekannt.

Auch von den Wildschwein-Fotos stammen über 26.000 aus dem Sperrgebiet, in der beschränkten Zone gelangen den Forschern dagegen nur 13.000 und im besiedelten Raum nur 7.000 Aufnahmen dieser Spezies. „Tiere, die sonst häufig in Konflikt mit Menschen geraten, wurden vorwiegend in den menschenfreien Zonen gesichtet. Das legt nahe, dass die Zahl dieser Tiere nach der Evakuierung der Bevölkerung dort gestiegen ist“, konstatiert Beasley.

Normales Verhalten

Weitere Untersuchungen bestätigten, dass die Radioaktivität die Häufigkeit der untersuchten Arten nicht zu beeinflussen schien. „Entscheidend sind laut unseren Analysen stattdessen Faktoren wie der Typ des Lebensraums, die Höhenlage und das Ausmaß menschlicher Aktivitäten“, berichtet Beasley.

Hat die Verstrahlung demnach keinen oder indirekt sogar einen positiven Effekt auf die Tierwelt, weil sie ihr wieder mehr Raum ohne Menschen verschafft? Wie die Wissenschaftler betonen, können sie keine Aussagen über den Gesundheitszustand der beobachteten Tiere treffen. Ihren Beobachtungen zufolge verhielten sich die meisten Arten jedoch normal und legten die für sie typischen Aktivitätsmuster an den Tag.

„Natürliche Wiedereroberung“

Eine Ausnahme bildet der Japanische Serau: Normalerweise bekannt dafür, Menschen zu meiden, kam dieses ziegenartige Tier den Kameraaufnahmen zufolge bewohnten Gebieten rund um Fukushima ungewöhnlich nahe. Die Forscher deuten dies jedoch nicht als Folge der hohen Strahlenbelastung in den entvölkerten Bereichen – sondern als Ausweichreaktion auf die offenbar schnell wachsende Wildschwein-Population.

„Diese Daten liefern einzigartige Einblicke in die natürliche Wiedereroberung der Fukushima-Landschaft nach dem Weggang der Menschen. Und sie legen nahe: Sollte es schädliche Effekte durch die Strahlenbelastung für mittelgroße bis große Säugetiere geben, dann zeigen sie sich höchstens auf individueller oder molekularer Ebene, aber nicht auf Populationsniveau“, so das Fazit der Wissenschaftler. (Frontiers in Ecology and the Environment, 2020; doi: 10.1002/fee.2149)

Quelle: University of Georgia

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