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Neurobiologie

Synapsen: Transportbläschen werden recycelt

Molekulare Transportvehikel entstehen aus Resten älterer Behälter

Aktive Synapsen, sichtbar gemacht mit einer neuen molekularen Sonde. Sind die Synapsen aktiv, leuchten sie auf. Ist ihre Aufgabe erledigt, gehen auch die Lichter aus. Auf diese Weise konnten Forscher des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie den Synapsen "beim Sprechen" zusehen und die Frage klären, wie und wie schnell die Proteine eines synaptischen Vesikels wiederverwendet werden. © MPI für biophysikalische Chemie

Nervenzellen reden miteinander, indem winzige mit Botenstoffen gefüllte Transportbehälter (Vesikel) an den Kontaktstellen zu Nachbarzellen, den Synapsen, mit der Zellmembran verschmelzen. Dabei setzen sie chemische Botenstoffe frei und leiten so den Nervenimpuls weiter. Göttinger Forscher haben nun mit einer neuer Technik nachgewiesen, dass die Transportvehikel für den synaptischen Botenstoff aus Bestandteilen älterer Behälter zusammengebaut werden. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass Signalübertragung und Denkprozesse so schnell sein können, so die Wissenschaftler in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Neuroscience.

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Stellen Sie sich vor: Ein heißer Sommertag, Sie bringen durstig die leere Wasserkiste zurück zum Getränkemarkt, doch Sie bekommen erst einmal keine neue. Der Händler sagt Ihnen Sie müssen so lange warten bis die Flachen Ihrer Kiste gesäubert, frisch befüllt und neu sortiert sind… Glücklicherweise ist das Recyceln der Flaschen schon längst geschehen – zumindest derer, die Sie (oder Ihr Nachbar) schon letzte Woche zurückgebracht haben. Bei der Nervenzellkommunikation scheint nach dem gleichen Prinzip verfahren zu werden.

Die Signalübertragung zwischen Nervenzellen erfolgt, indem die eine Zelle Stoffe ausschleust, die an einer anderen Zelle eine elektrische Antwort auslöst. Die Ausschleusung nennt man Exozytose. Hierbei verschmelzen Vesikel an der Synapse mit der Plasmamembran der Zelle und setzen dabei chemische Botenstoffe, die Neurotransmitter, frei. Dabei gelangen auch die in der Membran des Vesikels enthaltenen Proteine in die Außenmembran der Synapse. Bei der Neubildung von Vesikeln müssen diese Proteine durch einen umgekehrten Vorgang, der Endozytose, wieder rückgeführt werden. Die Geschwindigkeit dieses Prozesses ist dafür entscheidend, wie schnell und dauerhaft Synapsen zwischen Nervenzellen bei neuronaler Aktivität funktionieren.

Synapsen live "beim Sprechen" zugeschaut

Um die Dynamik dieser Vesikelbausteine zu verfolgen, haben Forscher des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen diesen durch gentechnische Methoden ein Leuchtprotein (GFP) angehängt und damit im Fluoreszenzmikroskop sichtbar gemacht. Überraschenderweise zeigte sich, dass sich eine gewisse Zahl von Vesikelproteinen, wie etwa Synaptobrevin oder Synaptotagmin, bereits während der Ruhephase der Synapse in der Plasmamembran befindet.

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Doch bisher war unklar, ob diese "gestrandeten" Proteine am Recycling teilnehmen, und wenn ja, welche Funktion sie dann ausüben. Hinzu kam ein weiteres Hindernis: Bislang war es nicht möglich, die Dynamik der Proteine im Vesikel getrennt davon zu untersuchen, was mit den in der Plasmamembran gestrandeten Proteinen passiert. Mit zwei Tricks gelang den Forschern nun, das Schicksal beider Proteinreservoirs während synaptischer Aktivität getrennt voneinander mikroskopisch zu betrachten und in Echtzeit zu verfolgen.

Zum einen verwendeten die Wissenschaftler ein Leuchtprotein zur Markierung, das nur dann leuchtet, wenn es sich tatsächlich in der Plasmamembran befindet, im Vesikel jedoch unsichtbar bleibt. Zum anderen hatten die Forscher das Leuchtprotein gentechnisch derart verändert, dass es sich durch eine Protease – eine Art molekulare Schere – abschneiden ließ, wenn es sich auf der Plasmamembran befand.

Reservoir in der Plasmamembran

Hierbei zeigte sich nun, dass nach Auslösung von Exozytose zwar vermehrt Endozytose stattfindet, dass aber überwiegend beschnittene Synaptobrevin und Synaptotagmin-Moleküle rezykliert wurden, das heißt Moleküle, die schon vor der Exocytose in der Plasmamembran lokalisiert waren.

Die Vesikel scheinen, so die Forscher, ihre Identität hinsichtlich ihrer Proteinzusammensetzung im Recycling-Zyklus nicht zu behalten. Schlussfolgerung: Die Moleküle in der Plasmamembran bilden vorsortierte Strukturen aus, die bei Bedarf sofort bei Beginn der neuronalen Erregung aufnahmebereit sind. Es muss man nicht erst auf "Neuankömmlinge" gewartet werden, also auf Moleküle, die während der Exozytose freigesetzt werden, sondern direkt und schnell werden jene Proteine verwendet, die sich im Reservoir der Plasmamembran befinden.

Der unerwartete Befund, dass Vesikel, die durch einen Nervenstimulus erst für die Weitergabe einer Information (Exocytose) verwendet und dann rezykliert (Endocytose) werden, nicht dieselben Proteine enthalten, wirft nach Ansicht der Forscher ein völlig neues Licht auf einen über 30 Jahre währenden wissenschaftlichen Disput: Kollabieren alle Vesikel bei der Fusion in die Plasmamembran, und werden ihre Komponenten dann andernorts von so genannten Adaptorproteinen und dem Protein Clathrin wieder gesammelt und endocytiert? Oder gehen Vesikel nur eine kurzzeitige Liason mit der Plasmamembran über eine Fusionspore ein, durch die der Botenstoff freigesetzt werden kann ("Kiss and Run"-Mechanismus)?

Wenn Vesikel ihre Identität verlieren…

Die neuen Forschungsergebnisse legen aus der Sicht der Wissenschaftler nun nahe, dass Vesikel – entgegen bisheriger Annahmen – immer in die Plasmamembran kollabieren und dort ihre Identität verlieren. Da aber die molekulare Identität das wesentliche Merkmal und der entscheidende Vorteil eines "Kiss and Run"-Mechanismus ist, scheidet dieser Mechanismus damit für ein effektives Recycling klar aus. Statt der neu in die Plasmamembran integrierten Vesikelproteine werden offenbar immer andere, bei früheren Stimulationen bereits gestrandete Moleküle am Rande der Freisetzungszone in einem Membranfleck vorsortiert, konzentriert und für die Endozytose bereit gestellt. Die Zelle verfügt also über einen vorsortierten bzw. leicht wieder gewinnbaren Pool der benötigten Proteine.

Auf diese Weise wird einerseits verhindert, dass die Membran der Synapse übermäßig anschwillt, andererseits wird sichergestellt, dass ständig ausreichend neue Vesikel zur Verfügung stehen. Vesikel werden also immer wieder neu zusammengesetzt. Tatsächlich deutet viel daraufhin, dass auch bei der Neubildung einer Synapse die zugehörigen Vesikel de novo aus dem gestrandeten Pool von Proteinen an der Plasmamembran gebildet werden.

Die neuen Befunde legen nach Angaben der Wissenschaftler nahe, dass sich in der Evolution ein molekularer Mechanismus durchgesetzt hat, der sowohl die Neusynthese als auch das Recycling synaptischer Vesikel regelt.

Doch wenn die frisch freigesetzten Proteine nicht ihre eigene Rücknahme durch Endocytose triggern, welches Signal koppelt dann mit so erstaunlicher Präzision die Exocytose und kompensatorische Endocytose von neu ‚erfundenen’ Vesikeln? Dieser Frage wollen sich die Forscher nun als nächstes zuwenden.

(MPG, 25.07.2006 – DLO)

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