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Biologie

Spinnen: Geheimnis der Beißklauen gelüftet

Optimale Form und geschichtete Konstruktion macht Beißklauen extrem widerstandfähig und hart

Jagderfolg dank Materialvorsprung: Cupiennius salei, eine tropische Jagdspinne, durchbohrt den Panzer von Beuteinsekten mit einer Giftklaue. © R. Barth

Starker Biss: Mit ihren scharfen, gebogenen Mundklauen können Spinnen selbst harte Insektenpanzer durchbohren. Was die Klauen so stabil macht, haben Forscher jetzt aufgedeckt: Eine raffinierte Kombination aus optimaler Form und komplexer Mikrostruktur macht die gebogenen Beißer steif und widerstandsfähig zugleich. Das könnte auch für künstliche Materialien wertvolle Anregungen geben, so die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“.

Von Nahem betrachtet sind die Mundwerkzeuge einer Spinne ziemlich furchteinflößend: Große, gekrümmte Klauen enden in einer scharfen Spitze, die mühelos selbst die harte Panzerung eines Insekts durchbohrt. Ist die Panzerung durchstoßen, injiziert die Spinne ihr lähmendes und zersetzendes Gift in die Beute, deren Schicksal ist damit besiegelt. Das Spannende daran: Die gekrümmten Klauen der Spinnen bestehen prinzipiell aus dem gleichen Material wie die Panzer ihrer Beute: aus Chitin, eingebettet in eine Proteinmatrix. Trotzdem sind sie härter und widerstandsfähiger.

Enorme Kräfte

„Während eines Angriffs erfahren die Spitzen dieser Klauen mechanische Kräfte, die stark genug sind, um sie zu stauchen, biegen und verdrehen“, erklären Benjamin Bar-On vom Max-Planck-Institut für Kolloidforschung in Potsdam und seine Kollegen. Die Bissstärke einer Spinne kann bis zu ein Newton erreichen, wie Experimente zeigen. Dennoch bricht die Klaue nicht ab und erweist sich auch nach wiederholtem Einsatz als stabil. Immerhin muss die Klaue auch ungefähr ein Jahr lang halten, denn so lange dauert es, bis die Spinne bei ihrer nächsten Häutung ihre komplette Außenhülle samt Fangklauen regeneriert.

Das Geheimnis hinter der großen Stabilität dieser natürlichen Injektionsnadel haben Bar-On und seine Kollegen nun am Beispiel der Jagdspinne Cupiennius salei genauer untersucht. Diese ursprünglich in Mittel- und Südamerika heimische Spinne wurde in den 1960er Jahren auch nach Deutschland eingeschleppt. Mit 3,5 Zentimetern Körperlänge und zehn Zentimetern Beinspanne ist der nächtliche Lauerjäger ziemlich groß und jagt größere Insekten und selbst kleine Säugetiere.

Beißklaue im Belastungstest: Rote Bereiche zeigen erhöhte Belastung an © Bar-On et al. /Nature Communications

Optimale Form und Krümmung

Für ihre Studie vermaßen die Wissenschaftler zunächst mit Hilfe mikrotomografischer Aufnahmen die genaue Form und Struktur der hohlen, von einem Giftkanal durchzogenen Klauen dieser Jagdspinne. Dabei zeigte sich, dass die Spinnenklauen geradezu ideal geformt sind, um starken Kräften standzuhalten: Zum einen sind sie konisch zulaufend geformt und ihr Durchmesser, aber auch ihre Wandstärke nehmen zur Basis hin deutlich zu. Dies verteilt die auf die Spitze einwirkenden Kräfte und verhindert, dass Klauen an ihrer Basis abbrechen, wie die Forscher berichten.

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Zum anderen entspricht die Krümmung der Klauen genau der Randlinie eines Viertelkreises, auch dies gibt Stabilität – zumindest wenn die zustoßende Bewegung genau dieser Linie folgt. „Aber der Beißmechanismus der Spinnen ist komplexer und die Klauen können auch in nichtkreisförmigen Bahnen bewegt werden“, so Bar-On und seine Kollegen. Das allein reicht daher nicht aus, um die Widerstandsfähigkeit der Klauen zu erklären.

Stabil durch geschichtete Fasern

Im nächsten Schritt analysierten die Forscher daher die Mikrostruktur der Spinnenklauen. Wie sie dabei feststellten, besteht die Klauenwand aus mehreren übereinanderliegenden Schichten von Chitin-Nanofasern in einer Proteinmatrix – im Prinzip also wie erwartet. Diese Nanofasern aber sind in jeder Schicht anders angeordnet: Lagen mit parallelen Chitinfasern wechseln sich mit Lagen aus gegeneinander verdrehten Fasern ab.

Diese geschichtete Architektur verleiht den Spinnenklauen zusätzliche Stabilität, wie die Forscher erklären. Denn die parallelen, in Längsrichtung der Klaue ausgerichteten Lagen schützen sie vor dem Verbiegen und Brechen. Die Lagen mit den verdrehten Fasern dagegen besitzen eine hohe Widerstandskraft gegenüber Schwerkräften – immerhin zwischen fünf und 100 Mal mehr als die parallelen Schichten. Das schützt die Spinnenklaue vor dem Verdrehen und Splittern.

Anregung für künstliche Materialien

„Dies zeigt, dass die Fangklauen der Spinnen von Natur aus perfekt angepasst konstruiert sind“, konstatieren die Forscher. Sie besitzen eine große Widerstandskraft und sind zudem durch ihre Struktur fest und steif genug, um Insektenpanzer durchbohren zu können. Gleichzeitig aber sind die Spinnenklauen damit ein weiteres Beispiel dafür, wie die Natur geschichtete Verbundmaterialien nutzt, um optimale mechanische Eigenschaften zu erhalten.

Nach ähnlichem Schichtprinzip sind beispielsweise auch die leichten, aber festen Panzer von Schildkröten konstruiert, die harten Schnäbel von Oktopussen und die extrem reißfesten Haltefäden von Miesmuscheln. Nach Ansicht der Forscher bieten diese biologischen Verbundmaterialien wertvolle Tipps auch für die Produktion neuer, synthetischer Materialien – Abgucken bei der Natur lohnt sich. (Nature Communications, 2014; doi: 10.1038/ncomms4894)

(Nature, 28.05.2014 – NPO)

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