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Biologie

Sozialverhalten verrät Genvariante

Fremde registrieren unbewusste Signale schon nach Sekunden

Schon Fremde können an unserem Verhalten erkennen, ob ein Buchstabe unseres Erbguts verändert ist oder nicht. Diese Genvariante beeinflusst, wie fürsorglich und kooperativ wir uns gegenüber anderen Menschen verhalten. Ob jemand diese Variante trage oder nicht, erkenne ein Beobachter bereits nach wenigen Sekunden, berichtet ein Forscherteam im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“. „Die Träger einer bestimmten Genvariante wurden dabei als sozialer und fürsorglicher eingeschätzt als diejenigen ohne diese“, sagen die Forscher.

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Für die Studie hatten die Forscher 23 Testpersonen und ihre Partner gefilmt, während letztere jeweils eine schmerzliche Begebenheit aus ihrem Leben erzählten. Das Verhalten der Testpersonen beim Zuhören – gezeigt in 20 Sekunden kurzen, stumm geschalteten Filmclips – wurde anschließend von 116 neutralen Beobachtern bewertet.

Mutation im Oxytocin-Sensor

Die Testpersonen in den Videos unterschieden sich durch eine kleine Veränderung in einem Gen, das einen Sensor für das sogenannte Kuschelhormon Oxytocin produziert. Der Botenstoff Oxytocin gilt als eng mit der Paarbindung und der Mutter-Kind-Bindung verknüpft, aber auch mit vielen Aspekten des sozialen Verhaltens. Inwieweit schon diese eine Mutation im Oxytocin-Sensor das Verhalten schon für andere erkennbar verändere, sei bisher unklar gewesen, berichten die Forscher.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass schon kleinste genetische Variationen einen spürbaren Einfluss auf das Verhalten eines Menschen haben können“, sagt Erstautor Aleksandr Kogan von der University of Toronto. Diese unbewussten, nonverbalen Signale würden offenbar schon nach wenigen Sekunden von anderen wahrgenommen – selbst wenn diese keinerlei Vorinformationen über diesen Menschen oder seine Gene besäßen.

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Kuschelhormon fördert Bindung und Fürsorge

„Vorhergehende Studien haben gezeigt, dass eine hohe Konzentration des Hormons Oxytocin unter anderem Vertrauen, Mitgefühl, Opferbereitschaft und andere Aspekte kooperativen Verhaltens fördert“, sagen die Forscher. Eine Andockstelle für dieses Hormon, der Rezeptor OXTR, spielt eine zentrale Rolle für die Reaktion des Gehirns auf das Kuschelhormon.

Eine Stelle des Rezeptorgens könne in zwei Varianten vorkommen, berichten die Wissenschaftler. Träger einer oder zweier Kopien der sogenannten A-Genvariante gelten als weniger empathisch und sozial als Träger der GG-Variante. „Wir wollten nun wissen, ob sich diese kleinen genetischen Unterschiede so deutlich im Verhalten zeigen, dass sie selbst von Fremden schnell erkannt werden – und genau das ist der Fall“, sagt Kogan.

In den Experimenten seien von den zehn als am wenigsten mitfühlend eingestuften Personen neun Träger der A-Variante gewesen, berichten die Forscher. Sie seien erstaunt darüber gewesen, wie gut die Bewertungen mit dem Gentyp übereinstimmten, meinen Kogan und seine Kollegen. Auf welchem Weg allerdings die Genvariante das Verhalten beeinflusst, sei noch völlig unklar.

Genvariante entscheidet auch über Freundeskreis

Nach Ansicht der Forscher könnte das Ergebnis ihrer Studie auch erklären, warum viele Menschen Freunde mit ähnlichen genetischen Anlagen um sich versammeln. „Wenn eine genetische Information wie diese schon über wenige Sekunden des Verhaltens übermittelt wird, liefert dies einen möglichen Mechanismus, wie sich solche Menschen unbewusst gegenseitig erkennen“, meinen Kogan und seine Kollegen.

Die Wissenschaftler warnen allerdings auch vor einer Überbewertung ihrer Ergebnisse: „Soziale Züge wie Kooperation oder Empathie sind durch zahlreiche genetische und äußerliche Faktoren beeinflusst“, schreiben sie. Die jetzt untersuchte Genvariante sei ein Faktor, der zu solchem Verhalten beitrage, aber sicherlich nicht der einzige. „Wie all diese Puzzleteile zusammenwirken, um einen sozialen oder weniger sozialen Menschen zu bilden, ist ein großes Rätsel, an dem wir gerade erst zu kratzen beginnen“, sagt Kogan. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2011)

(Proceedings of the National Academy of Sciences / dapd, 15.11.2011 – NPO)

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