Der Übergang des Sehpigments Retinal von einer in die andere Form ist die Grundvoraussetzung des Sehens. Aber erst jetzt ist es gelungen, diesen ultraschnellen Vorgang auch direkt zu beobachten. Ein internationales Forscherteam hat mit Hilfe von Femtsosekunden-Lichtpulsen und theoretischen Modellen dabei erstmals die Existenz einer Zwischenform des Retinals nachgewiesen. Wie sie in „Nature“ berichten, könnte diese Erkenntnis nicht nur in der Medizin, sondern auch für technische Anwendungen bedeutsam sein.
Eines der wichtigsten Sinnesorgane ist das Auge. Dank dieses Leitsinns können sich Mensch und Tier sicher orientieren. Aber was passiert im Auge genau, bevor wir etwas sehen? „Das Schlüsselmolekül im Sehprozess der meisten Wirbeltiere, uns Menschen eingeschlossen, ist der Sehfarbstoff Retinal“, erklärt Oliver Weingart von der Universität Duisburg-Essen. „Wird er durch Licht angeregt, verändert er seine Struktur und aktiviert das ihn umgebende Protein.“ Diese Reaktion endet mit der Reizung des Sehnervs, und erst dann kann visuell etwas wahrgenommen werden.
Reaktion ist 200 Femtosekunden schnell
Doch die Strukturänderung des Retinals erfolgt äußerst schnell, sie dauert nur rund zweihundert Femtosekunden – 200 Billiardstel Sekunden. Theoretische Berechnungen gehen davon aus, dass während dieser photochemischen Reaktion ein energetisch balancierter Übergangszustand eintritt, der auch als „konische Kreuzung“ bezeichnet wird. Bisher allerdings konnte diese Übergangsform nie direkt beobachtet werden, weil die Reaktion zu schnell abläuft. Einem internationalen Forscherteam unter Leitung von Dario Polli von der Technischen Universität Mailand ist dies jedoch jetzt erstmals geglückt.
Ultrakurze Lichtpulse schießen „Schnappschüsse“
Die Forscher nutzten dafür Lichtpulse von weniger als 20 Femtosekunden Dauer in einem breiten Frequenzspektrum vom sichtbaren Licht bis zum Nahinfrarot um „Schnappschüsse“ der Umwandlung des Sehpigmentmoleküls zu gewinnen. Parallel dazu wurde die Fotoreaktion des Sehproteins an der Universität Duisburg-Essen und der Universität Bologna mit aufwändigen rechnerischen Verfahren simuliert.
Beleg für „konische Kreuzung“
Beide Verfahren, das Experiment und die theoretische Berechnung lieferten nahezu identische Ergebnisse. Dadurch können die Bewegungen des Moleküls während der Reaktion nun sehr genau nachvollzogen werden. „Mit Experiment und Theorie haben wir einen weitaus detaillierteren Einblick in den Mechanismus der Initialreaktion des Sehvorgangs bekommen, als es bislang möglich war“, erklärt Weingart. Die Forscher sehen in ihren Daten einen eindeutigen Beleg für die Existenz der konischen Kreuzung.
Die Erkenntnis, wie das Sehprotein funktioniert, dürfte nicht nur der medizinischen Forschung nutzen. Sie könnte ebenso helfen, künstliche molekulare Fotoschalter zu entwickeln, die zum Beispiel als schnelle optische Datenspeicher die Computertechnik weiter revolutionieren könnten.
(Universität Duisburg-Essen, 24.09.2010 – NPO)