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Zoologie

Seeigel sehen besser als gedacht

Kalkskelett mit Lichtsinneszellen funktioniert als „Komplexauge“

Purpurner Seeigel (Strongylocentrotus purpuratus) mit ausgestreckten Füßchen. © E. Arboleda

Seeigel sind doch nicht so „blind“, wie die Wissenschaft immer dachte: Ein internationales Forscherteam hat jetzt erstmals spezialisierte Lichtsinneszellen in den vermeintlich augenlosen Tieren entdeckt, die ihnen ein Richtungssehen ermöglichen.

Ihren Fund, den sie als „laufendes Komplexauge“ bezeichnen, stellen die Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Science“ (PNAS) vor.

Photorezeptoren nicht diffus verteilt

„Die Photorezeptoren des purpurnen Seeigels (Strongylocentrotus purpuratus) sind nicht diffus über den ganzen Körper der Tiere verteilt, wie bislang vermutet, sondern in kleinen Einbuchtungen des runden Kalkskeletts konzentriert“, erklärt Esther Ullrich-Lüter von der Universität Bonn die Forschungsergebnisse, die in Zusammenarbeit mit Kollegen in Italien, Norwegen und Schweden entstanden sind.

Die Wissenschaftler fanden in ihrer neuen Studie weiter heraus, dass Seeigel das eigene Skelett zur gezielten Lichtabschirmung ihrer Photorezeptoren nutzen und dadurch als eine Art „laufendes Komplexauge“ funktionieren.

Lichtreaktionen seit langem bekannt

Obwohl Lichtreaktionen bei den ausschließlich im Meer vorkommenden, wirbellosen Seeigeln seit langem bekannt sind, konnten die verantwortlichen Rezeptoren und Mechanismen erst jetzt durch eine Kombination aus Genexpressions-Studien und morphologischen Untersuchungen aufgeklärt werden.

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Die Forscher legten ihren Fokus dabei zunächst auf die Expression eines so genannten rhabdomerischen Opsins, eines funktionell essenziellen Moleküls von Lichtrezeptoren wie sie in vielen wirbellosen Tieren vorkommen. „Durch den spezifischen Nachweis dieses Opsins in den Füßchen der Seeigel konnten wir erstmals Lichtsinneszellen bei Seeigeln lokalisieren, die keine ‚Augen‘ im klassischen Sinne besitzen“, sagt Maria Ina Arnone von der Stazione Zoologica in Neapel.

Juveniler Seeigel mit rhabdomerischen Photorezeptoren (rot) in Kontakt zum Nervensystem (grün). © E. Ullrich-Lüter

Lichtrezeptor typisch für Facettenaugen

Die Genexpressionsdaten belegen nach Angaben der Wissenschaftler in Kombination mit elektronenmikroskopischen Untersuchungen und Immunfärbungen, dass Seeigel ähnlich wie Insekten und Krebstiere einen für Facettenaugen typischen Lichtrezeptor zum Richtungssehen benutzen, im Unterschied zu ihren nahen Verwandten, den Wirbeltieren. Bei diesem Photorezeptortyp erfolgt die Einlagerung des Sehpigmentes in Ausstülpungen der nach außen gerichteten Zelloberfläche.

Die Wirbeltiere sehen dagegen mit Photorezeptoren, bei denen das Sehpigment in die Oberfläche eines Wimperhärchens eingelagert ist. „Diese Art des Sehens scheint demnach evolutiv neuer zu sein, als bislang angenommen“, resümiert Harald Hausen vom SARS International Centre of Marine Molecular Biology.

Internetartiges Nervensystem

Zusätzliche Röntgen-microtomographische Untersuchungen (μCT) gaben Aufschluss über die spezielle Skelettmorphologie der untersuchten Seeigel, mit deren Hilfe eine Lichtabschirmung der einzelnen Lichtrezeptorgruppen von bis zu 272 Grad erfolgt. Die Verteilung der Lichtsinneszellen über den runden Körper der Tiere in Kombination mit einem im Tierreich einmaligen, internetartig dezentral Daten verarbeitenden Nervensystem, erlaubt den Tieren Informationen aus über 1.500 solcher Lichtrezeptorgruppen zu verarbeiten und sich gerichtet von einer wahrgenommenen Lichtquelle weg zu bewegen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, Online-Veröffentlichung 2011; doi:10.1073/pnas.1018495108

(Universität Bonn, 06.05.2011 – DLO)

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