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Neurobiologie

Rätsel um Röhrensystem in Nervenzellen gelöst

Nach 50 Jahren Funktion für verwaiste Struktur in Nervenzellen aufgeklärt

Schweizer Forscher haben 50 Jahre nach der Entdeckung eines mikroskopisch kleinen Röhrensystems in Nervenzellen die Funktion dieses Phänomens aufgeklärt. Wie die Wissenschaftler in der aktuellen Online-Ausgabe der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Science“ (PNAS) schreiben, beeinflusst es die Stärke der Verbindung zwischen zwei Nervenzellen maßgeblich und trägt so dazu bei, dass wir uns neuen Umständen anpassen und Neues lernen können.

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„Nach Jahren intensiver Forschung konnten wir dieser verwaisten Struktur in den Nervenzellen eine wichtige Funktion zuweisen. Es war ein richtiger Heureka Moment“, kommentiert der Neurobiologe Thomas Oertner vom Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research seine neuen Ergebnisse.

ER moduliert Stärke der Verbindungen zwischen Nervenzellen

In ihrer neuen Studie beschreiben Oertner und seine Kollegen wie ein mikroskopisch kleines Röhrensystem, das Endoplasmatische Retikulum (ER), die Stärke der Verbindungen zwischen Nervenzellen moduliert. Solche Änderungen in den Nervenzellverbindungen sind wichtig, damit wir uns immer wieder an neue Umstände anpassen und Neues lernen können.

Im Gehirn werden so Verbindungen der Nervenzellen über Synapsen kontinuierlich neu geknüpft, verstärkt und auch wieder gelockert. Daneben gibt es aber auch Verbindungen die stabil bleiben, dann wenn wir zum Beispiel Wichtiges über Jahre in Erinnerung behalten. Die beiden Verbindungstypen existieren nebeneinander.

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Funktionelle Umstellung der Synapsen

Wie eng beieinander war eine der ersten wichtigen Erkenntnisse aus Oertners Studie: Beide Typen existieren in unmittelbarer Nachbarschaft auf derselben Nervenzelle und werden individuell gesteuert. Niklaus Holbro, Doktorand in Thomas Oertners Gruppe und Mitautor der Studie, zeigte darüber hinaus, dass die Präsenz des Endoplasmatischen Retikulums in den Dornfortsätzen der Nervenzellen überraschenderweise den Unterschied zwischen stabilen und sich ändernden Synapsen ausmacht.

Ist das ER präsent, so können sich die Verbindungen zwischen den Zellen abschwächen. Wird die Nervenzelle angeregt, werden in den Dornfortsätzen aus dem ER große Mengen Kalzium ausgeschüttet, was die funktionelle Umstellung der Synapsen auslöst.

Veränderte Dornfortsätze

In einem nächsten Schritt möchte das Team von Oertner untersuchen, inwiefern dieser vom ER definierte Prozess bei Patienten mit dem so genannten Fragilen-X-Syndrom eine Rolle spielt. Fragiles-X-Syndrom ist eine der am häufigsten auftretenden erblichen kognitiven Erkrankungen. Die Patienten leiden unter verminderter Intelligenz, Lernschwierigkeiten und Aufmerksamkeitsdefiziten.

„Wir wissen bereits, dass diese Patienten veränderte Dornfortsätze haben. Wir vermuten, dass die gleiche Signalkaskade, die in den ER-Dornfortsätzen aktiviert wird, bei diesen Patienten über das Maß stimuliert sein könnte“, erklärt Oertner sein weitergehendes Interesse und die möglichen biomedizinischen Konsequenzen seiner Entdeckung.

Mikroskopie vom Feinsten

Beobachtungen und Vergleiche einzelner Dornfortsätze und Synapsen auf Nervenzellen sind alles andere als trivial. Die neuen Entdeckungen waren nur Dank einer neuen Mikroskopiermethode, der Zweiphotonenmikroskopie, möglich. Zweiphotonenmikroskopie ist eine Bild gebende Methode, bei der mit Hilfe eines gepulsten Infrarot-Lasers ein Farbstoff in der Zelle zum fluoreszieren gebracht wird. Die Methode schont dabei die zu untersuchenden Zellen optimal und erlaubt einzigartige, hochauflösende Bilder.

Oertners Team ist eines der wenigen weltweit, die mit dieser Technik einzelne Synapsen optisch stimulieren, beobachten und deren Aktivität messen. Natürlich kann man solche Apparaturen nicht einfach kaufen, die Forscher bauen sich darum diese innovativen Mikroskope selbst und entwickeln sie weiter.

(Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research, 08.09.2009 – DLO)

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