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Umwelt

Radioaktiver Fallout im Marianengraben

Flohkrebse vom Grund der Tiefseegräben haben C-14 der Atomwaffentests angereichert

Atomwaffentest
Explosion einer Atombombe beim US-Kernwaffentest Castle Bravo 1954 im Bikini-Atoll. Der Fallout dieser Tests ist erstaunlich schnell bis in die tiefsten Tiefseegräben vorgedrungen. © US Department of Energy

Verblüffend schnell: Der Fallout der Atomwaffentests hat schon jetzt die tiefsten Tiefseegräben erreicht – schneller als bisher für möglich gehalten. Denn normalerweise dauert der Wassertransport von der Oberfläche in die Tiefsee Jahrhunderte. Doch Krebse im Marianengraben und anderen Tiefseegräben haben das radioaktive C14 der Bombentests bereits angereichert, wie Analysen nun belegen. Das wirft auch ein neues Licht auf die Nahrungsstrategien dieser Tiefseebewohner.

Zwischen 1945 und Mitte der 1960er Jahre führten die USA, die Sowjetunion und einige andere Länder zahlreiche Atomwaffentests im Pazifik durch. Die Explosionen hinterließen radioaktiven Fallout auf Inseln wie dem Bikini-Atoll, aber auch in der Erdatmosphäre. Noch heute enthält die Stratosphäre deshalb bis zu 100.000 Mal mehr radioaktives Plutonium und Cäsium als in Bodennähe, wie aktuelle Messungen belegen.

Durch die Atombombenexplosionen stieg auch der Gehalt des radioaktiven Kohlenstoff-Isotops C-14 in der Erdatmosphäre. Dieser C-14-Peak erreichte Mitte der 1960er Jahre einen Höhepunkt und fällt seither langsam ab. Doch selbst 30 Jahre nach Ende der Kernwaffentests lag dadurch der C-14-Anteil in der Atmosphäre noch um 20 Prozent höher als vor der Ära der Atomtests. Diese C-14-Kurve trägt heute dazu bei, Objekte mithilfe der Radiokarbondatierung zeitlich einzuordnen.

Tiefsee – weitgehend isoliert von der Oberfläche?

Doch auch wenn der Fallout der Atomtests auf der gesamten Erde seine Spuren hinterließ, galt bisher ein Bereich als weitgehend unberührt: die extreme Tiefsee. Gängiger Ansicht nach stehen Wasser und Lebenswelt von Tiefseegräben wie dem Marianengraben nur in beschränktem Austausch mit der Meeresoberfläche. Für die meisten Stoffe dauert es Jahrhunderte, bis sie in diese Tiefen von mehr als 6.000 Metern vordringen.

Allerdings: Dieser langsame Austausch gilt offenbar nicht für alle Substanzen. Bereits 2017 wiesen Forscher in Flohkrebsen des Marianengrabens ungewöhnlich hohe Werte von Umweltgiften wie PCB und polybromierten Diphenylethern (PBDE) nach. Diese Giftstoffe gelangten offenbar mit abgestorbenen Überresten von Plankton und anderen Organismen der oberen Wasserschichten in die Tiefe.

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Bomben-C-14 im Muskelgewebe

Wie sich nun zeigt, gilt dieser beschleunigte „Fahrstuhl“ in die Tiefe offenbar auch für den radioaktiven Fallout der Atomwaffentests. Für ihre Studie hatten Ning Wang vom Guanzhou Institut für Geochemie in China und seine Kollegen die C-14-Werte von Flohkrebsen aus dem Marianengraben und zwei weiteren Tiefseegräben im Westpazifik analysiert. Zu Vergleichszwecken untersuchten die Forscher zudem Sediment vom Grund der Tiefseegräben und Wasserproben.

Flohkrebs
Der Tiefsee-Flohkrebs Hirondellea gigas lebt unter anderem am Grund des Marianengrabens. Daiju Azuma © CC-by-sa 2.5

Das überraschende Ergebnis: Im Körpergewebe der Flohkrebse waren die C-14-Werte auffällig erhöht. Mit 10 bis 65 Promille entsprachen die C-14-Werte in den Muskeln der Krebse denen an der Meeresoberfläche. „Das spricht dafür, dass hier C-14 aus den Atomtests vorhanden ist“, so die Forscher. Auch die frische Nahrung im Verdauungstrakt der Krebse zeigte leicht erhöhte C-14-Werte, wenngleich diese auch deutlich unter denen des Muskelgewebes lagen, wie die Wissenschaftler berichten.

Das bedeutet: Entgegen den Erwartungen ist der Fallout der Atomwaffentests längst in der Tiefsee angekommen. „Die C-14-Messungen der Tiefsee-Flohkrebse zeigen ganz klar eine Bombensignatur in den tiefen Ozeangräben“, konstatieren Wang und sein Team.

Wie kommt der Fallout in die Krebse?

Merkwürdig jedoch: Im Tiefenwasser und im Sediment der Tiefseegräben waren die C-14-Werte nicht erhöht, wie die Analysen ergaben. Das aber wäre zu erwarten, weil sich die Tiefsee-Flohkrebse gängiger Annahme nach von organischem Material und Aas ernähren, das sie am Meeresgrund finden – und das im Laufe der Zeit aus höheren Wasserschichten bis in die Gräben hinabsinkt.

Doch die abweichenden C-14-Werte sprechen für eine andere Strategie: Offenbar suchen sich die Flohkrebse im Marianengraben und anderen Tiefseegräben gezielt die Nahrungsbrocken heraus, die sozusagen im Schnelldurchgang von der Oberfläche in die Tiefe absinken. Diese scheinen sie selektiv aus dem Wasser zu fischen und zu fressen. „Die Werte sprechen für ein selektives Fressen von frischem, aus der Nach-Bombentest-Ära stammendem organischen Material von der Wasseroberfläche“, erklären die Forscher.

Nahrungskette als „Expressfahrstuhl“ in die Tiefe

Das wirft auch ein neues Licht auf den Austausch zwischen Oberfläche und Tiefsee: „Obwohl die Ozeanzirkulation hunderte von Jahren benötigt, um Wasser mit Bomben-Fallout bis in die tiefsten Tiefseegräben zu bringen, kann die Nahrungskette dies sehr viel schneller bewerkstelligen“, sagt Wang. Absinkende Organismenreste nehmen demnach offenbar den Expressfahrstuhl in die Tiefe – und mit ihnen auch Umweltgifte und radioaktiver Fallout.

„Das wirklich Neue daran ist nicht nur, dass Kohlenstoff von der Meeresoberfläche den tiefen Ozean in relativ kurzer Zeit erreichen kann, sondern auch, dass der ‚junge‘ Kohlenstoff von der Oberfläche das Leben in den tiefen Gräben nährt“, kommentiert die nicht an der Studie beteiligte Rose Cory von der University of Michigan. Nach Ansicht der Studienautoren bedeutet dies auch, dass menschliche Aktivitäten sogar noch Biosysteme bis in knapp 11.000 Meter Tiefe beeinflussen können. „Wir müssen daher unser künftiges Verhalten sorgfältig überdenken“, so die Forscher. (Geophysical Research Letters, 2019; doi: 10.1029/2018GL081514)

Quelle: American Geophysical Union

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