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Neurobiologie

Proteinabbau hilft beim Lernen

Synthese und Abbau von Proteinen halten sich bei Lernen und Gedächtnis die Waage

In einem dichten Netzwerk sind Nervenzellen des Gehirns - hier im Hippocampus - über Synapsen miteinander verschaltet. Nicht nur aktivitätsabhängige Synthese von Proteinen, sondern auch der gezielte Abbau von Proteinen sind ein wichtiger Mechanismus für die Stabilisierung der Synapsen und damit auch für die Speicherung von Information im Gehirn. © Max-Planck-Institut für Neurobiologie

Erstmals haben Wissenschaftler gezeigt, dass nicht nur die aktivitätsabhängige Synthese von Proteinen, sondern auch der gezielte Abbau von Eiweißen ein wichtiger Mechanismus für die Speicherung von Information im Nervensystem ist. Die Forscher der Max-Planck-Institute für Neurobiologie und Biochemie berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Neuron.

Lernen und Gedächtnis sind lebensnotwendige Fähigkeiten für Mensch und Tier. Eine wesentliche Rolle bei diesen elementaren Funktionen unseres zentralen Nervensystems spielen dabei die Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen – die Synapsen. Sie verändern sich abhängig von der Aktivität der sie beherbergenden Nervenzellen. Auf diese Weise können aus der Umwelt gewonnene Informationen langfristig abgespeichert werden. Durch starke Reizung bei Langzeitpotenzierung (LTP) werden die Kontaktstellen beispielsweise verstärkt und somit die Datenströme im Gehirn nachhaltig umgeleitet.

Wissenschaftler sehen diese Verstärkung der Synapsen als neurophysiologische Grundlage für Lernen und Gedächtnis. Die Aufklärung der zugrunde liegenden zellulären Mechanismen ist eine der großen Herausforderungen an die modernen Neurowissenschaften und ein zentrales Forschungsanliegen der Forscher um Tobias Bonhoeffer am Max-Planck-Institut für Neurobiologie.

In Zusammenarbeit mit Ramunas Vabulas vom Max-Planck-Institut für Biochemie, konnten Bonhoeffers Mitarbeiter Rosalina Fonseca und Valentin Nägerl nun zeigen, dass es für die Aufrechterhaltung dieser synaptischen Verstärkung nicht nur der Neusynthese synaptischer Proteine – Plastizitäts-Faktoren genannt – bedarf, sondern dass ebenso der gezielte Abbau von inhibitorischen Faktoren erforderlich ist.

Verstärkung der Synapsen „in Stein gemeißelt“

Bisher hatte man angenommen, dass das Auslösen einer Langzeitpotenzierung lediglich zur Synthese von "positiven" Plastizitäts-Faktoren führt, die wiederum die potenzierten Synapsen langfristig verstärken. Doch nach den neuesten Ergebnissen muss diese Sichtweise nun revidiert werden. "Tatsächlich kommt es im Zuge der Langzeitpotenzierung sowohl zu einer erhöhten Produktion als auch zu einem erhöhten Abbau von positiven und negativen Plastizitäts-Faktoren", erklärt Projektleiter Nägerl.

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Verblüffend, aber dennoch folgerichtig, war, dass es sogar ohne die Neusynthese der Plastizitäts-Faktoren zur Bildung einer lang anhaltenden Verstärkung von neuronalen Verbindungen kommen kann. Voraussetzung dafür war allerdings, dass zeitgleich der Proteinabbau durch das intrazelluläre Ubiquitin-Proteasom-System (UPS) pharmakologisch gehemmt wurde. Sind sowohl die Synthese als auch der Abbau gehemmt, reicht schon die anfängliche Potenzierung für eine dauerhafte Verstärkung der Synapsen aus, sie wird bei Blockade des UPS sozusagen in Stein gemeißelt.

Experimente an Ratten

Die Wissenschaftler führten ihre Experimente an dünnen Hirngewebsscheiben des Hippokampus der Ratte aus. Dieses Hirnareal, so weiß man seit langem, ist maßgeblich an der Gedächtnisbildung beteiligt – bei der Ratte wie auch beim Menschen. Die Forscher setzten dabei gängige Methoden der Neurophysiologie ein, um das Reiz-Antwortverhalten von vielen Synapsen im Hippokampus gleichzeitig ableiten zu können. Darüber hinaus benutzten sie pharmakologische Substanzen, mit denen spezifisch der Synthese- und/oder der Abbauweg von Zellproteinen geblockt werden konnte. Damit war es möglich, die wechselwirkenden Einflüsse der Neubildung und des Abbaus von Proteinen auf die synaptische Plastizität zu untersuchen.

Die Studie fußt auf einer anderen, kürzlich veröffentlichten Publikation der Max-Planck-Forscher in der Zeitschrift Nature Neuroscience. Darin konnten sie zeigen, dass die Stabilität der synaptischen Plastizität ganz entscheidend von der Stimulierung der Synapse in der frühen Phase der Langzeitpotenzierung abhängt. Die Forscher hatten immer schon angenommen, dass die Aktivität der Synapsen den Umsatz von Proteinen steigert, die für die Langzeitpotenzierung notwendig sind, und dass auf diese Weise die Stabilität der LTP moduliert wird. Die aktuellen Befunde bestätigen diese Überlegungen.

Darüber hinaus konnten Fonseca, Nägerl und Bonhoeffer nachweisen, dass die anfängliche synaptische Potenzierung durch niederfrequente Reizung der Synapsen gefestigt werden muss. Bleibt das aus, ist die synaptische Verstärkung weitaus instabiler als sonst und bedarf der fortdauernden Neusynthese an Plastizitäts-Faktoren. "In diesen Untersuchungen konnten wir erste Hinweise dafür sammeln, dass die Stabilität der synaptischen Plastizität auch von einem aktivitätsabhängigen Abbau der Plastizitäts-Faktoren abhängt. Unsere in der Zeitschrift Neuron veröffentlichten Daten haben das nun wunderbar bestätigt", so Bonhoeffer.

(MPG, 20.10.2006 – DLO)

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