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Neurobiologie

Protein steuert Berührungsschmerz

Erster Nachweis eines Rezeptor-Gens für Berührungen bei Säugetieren

Die Haut ist das größte Sinnesorgan des Menschen, über das er Berührung und Schmerz wahrnimmt. Jetzt haben Wissenschaftler erstmals bei Säugetieren ein Molekül nachgewiesen, das eine wichtige Rolle bei der Umwandlung solcher mechanischer Reize in Nervenimpulse spielt.
Das Molekül, ein SLP3 genanntes Protein, ist notwendig, um feinste Berührungen wahrzunehmen, wie die Forscher jetzt in „Nature“ berichten. Solche Moleküle könnten in Zukunft wichtige Angriffspunkte für die Therapie chronischer Schmerzen sein.

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Obwohl Berührungsreize normalerweise nichts mit Schmerzempfinden zu tun haben, ändert sich das dramatisch bei einer Verletzung der Nerven. Menschen mit Nervenverletzungen empfinden schon starke Schmerzen, wenn sie nur ganz leicht berührt werden. Ärzte sprechen in solchen Fällen von neuropathischem Schmerz. Die Nervenzellen, die Berührungs- und Schmerzreize aufnehmen und ins Gehirn übermitteln, befinden sich in den Hinterwurzelganglien des Rückenmarks, haben aber ihre „Fühler“, die zahlreichen Fortsätze (Axone) bis in die Haut ausgestreckt.

Mechanische Reize auf diese axonalen Endigungen werden von Rezeptoren in der Haut aufgenommen und in elektrische Impulse umgewandelt, ins Gehirn weitergeleitet und dort als Berührung oder Schmerz wahrgenommen. Der biologische Vorgang, der der Umwandlung eines mechanischen Reizes in einen Nervenimpuls zugrunde liegt, wird als Mechanotransduktion bezeichnet und ist auf molekularer Ebene bis heute wenig verstanden. Offenbar sind spezielle Ionenkanäle in der Zellmembran für die Umwandlung mechanischer Reize in elektrische Impulse verantwortlich. Diese Kanäle öffnen sich, wenn auf die Zellmembran leichter Druck ausgeübt wird. Dann strömen geladene Teilchen in die Zelle und lösen ein elektrisches Signal aus.

Ohne SLP3 keine Schmerzen

Christiane Wetzel und ihre Kollegen aus dem Labor von Prof. Gary Lewin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch führten Versuche durch, um dem Ursprung dieser Reizübertragung und damit auch der Überempfindlichkeit bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen auf die Spur zu kommen. Die Forscher haben die Aktivität der Ionenkanäle nach winzigsten Berührungen gemessen und konnten nachweisen, dass SLP3 für eine Reihe solcher berührungssensitver Ionenkanäle notwendig ist.

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Die Versuche ergaben, dass Mäuse, denen das Protein SLP3 fehlt, unterschiedlich strukturierte Oberflächen nicht voneinander unterscheiden können. Der Grund, so schlussfolgern die Wissenschaftler: Rund 35 Prozent der Berührungsrezeptoren in der Haut der Tiere, die kein SLP3 bilden, können diese Reize nicht mehr wahrnehmen. Mäuse, denen SLP3 fehlte, empfanden zudem trotz Nervenverletzung keine neuropathischen Schmerzen, wenn sie leicht berührt werden.

Ansatzpunkt für Schmerztherapien

Diese Arbeit ist die erste, die zeigt, dass ein Protein direkt für die Wahrnehmung von Berührungen in Säugetieren benötigt wird. In einfachen Organismen wie dem Fadenwurm C. elegans und Fruchtfliegen konnte schon eine Reihe von Genen – sie enthalten die Baupläne für die Proteine – dafür identifiziert werden. Das SLP3 Protein ist mit einem ähnlichen Protein von C. elegans, dem MEC-2, verwandt. Ihre Studie liefert zugleich den ersten Nachweis eines Rezeptor-Gens für Berührungen bei Säugern.

Gleichzeitig deuten diese Ergebnisse nach Auffassung der Forscher darauf hin, dass Moleküle, die für die Wahrnehmung von Berührungen notwendig sind, künftig Angriffspunkte für die Therapie neuropathischer Schmerzen sein könnten, für die es bisher nur wenige effektive Behandlungen gibt.

(Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch, 18.12.2006 – NPO)

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