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Genetik

Pilz klaut Schwerkraftgefühl von Bakterien

Schimmelpilz übernimmt den genetischen Bauplan für einen Proteinkristall von Mikroben

Die Fruchtkörper des Schimmelpilzes Phycomyces blakesleeanus wachsen gerade nach oben und bilden einen dichten Rasen. Jeder Stiel ist eine einzelne Zelle, die sich zu einer ein bis drei Zentimeter hohen Struktur verlängert. An der Spitze befinden sich die Sporen. Vergrößerung: Der Octin-Kristall durchmisst etwa fünf Mikrometer und ist damit viel größer als die Bakterien (ein bis zwei Mikrometer) von denen der genetische Bauplan stammt. © Tu Anh Nguyen

Überraschende Übernahme: Forscher haben einen Schimmelpilz entdeckt, der seinen Schwerkraftsinn wahrscheinlich von Bakterien geklaut hat. Denn der Pilz verfügt über denselben genetischen Bauplan für einen Schwerkraftsensor aus Octin-Proteinen wie die Bakterien. Erst in den Pilzen setzte sich das Octin jedoch durch einzelne Mutationen zu einem Kristall zusammen, wie die Autoren berichten.

Jedes Lebewesen nimmt seine Umgebung wahr und findet sich darin zurecht. Uns steht dafür eine ganze Palette von Sinnesorganen zur Verfügung – und selbst Bakterien können durch einen Konzentrationsgradienten von Molekülen einer bestimmten Richtung folgen. Auch Schimmelpilze wie die Art Phycomyces blakesleeanus wissen scheinbar ganz genau, wo oben und unten ist. Denn ihre Fruchtkörper wachsen schnurgerade nach oben. Wie aber bewerkstelligen die Pilze das?

Soviel war bereits bekannt: Die Fruchtkörper „spüren“ die Schwerkraft anhand eines fünf Mikrometer großen, oktaederförmigen Proteinkristalls, welcher innerhalb einer mit Flüssigkeit gefüllten Kammer sitzt. Unter dem Gewicht des Fruchtkörpers richtet sich der Kristall aus und verrät so, in welche Richtung der Pilz wachsen soll. Aber wie die Pilze im Laufe der Evolution an diesen Trick gelangt sind, blieb bisher unklar.

Horizontaler Gentransfer?

Um dieses Rätsel zu lösen, haben Tu Anh Nguyen von der National University of Singapore und ihre Kollegen den Kristall isoliert, ihn analysiert und nach seinem Ursprung gesucht. Der Kristall war aus zwei Komponenten eines einzigen Proteins aufgebaut: Die Forscher nannten das neu entdeckte Protein Octin. Die Sequenzierung des Octin-Gens ergab, dass unter den Pilzen nur jene Gruppe um Phycomyces blakesleeanus dieses Gen besaßen. Es kommt daneben aber auch vereinzelt in Bakterien und Eukaryoten vor.

„Wir waren überrascht, dass Octin-ähnliche Gene in Bakterien existierten“, sagen die Forscher. Bei ihren Analysen fanden sie heraus, dass alles auf einen horizontalen Gentransfer von Bakterien auf den Vorfahren von Phycomyces hinwies. Beim horizontalen Gentransfer „springen“ Gene von einer Spezies auf die andere über und können dabei neue nützliche Funktionen übertragen. „Das war faszinierend, weil Ablagerungen zeigen, dass Bakterien zu klein sind, um Schwerkraft fühlende Strukturen zu bilden.“ Den Forschern war damit klar, dass sie es in den Pilzen mit einer evolutionären Neuheit zu tun hatten.

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Cysteine formen Proteinverbindungen

Doch wie kam es dazu, dass ein bakterielles Protein sich zu einem Schwerkraftsensor entwickelte? Den Forschern fiel auf, dass die Octin-Proteine der Pilze besonders häufig die Aminosäure Cystein enthielten. Cystein formt starke molekulare Verbindungen zwischen Proteinen und kann Proteinkomplexe entstehen lassen. Im bakteriellen Octin sind zwar ebenfalls Cystein-Verbindungen vorhanden, jedoch ungemein weniger. Die Forscher vermuten deshalb, dass das Pilz-Octin im Laufe der Evolution Cysteingruppen durch Mutationen erwarb und dadurch eine Kristallstruktur bildete.

Als die Wissenschaftler versuchten, den Octin-Kristall auch von Säugetierzellen herstellen zu lassen, wurden sie jedoch enttäuscht. Das Octin wurde nicht verarbeitet und bildete keine Kristalle. Es scheinen also nicht nur die Cysteingruppen für die Kristallbildung verantwortlich zu sein. Die Forscher vermuten deshalb, dass noch weitere Faktoren im Pilz nötig sind, um den Prozess in Gang zu bringen.

Kristallzucht im Reagenzglas

„Wir suchen momentan nach diesen Faktoren, um Octin-Kristalle im Reagenzglas zu rekonstruieren“, sagt Seniorautor Gregory Jedd. „Das wird uns erlauben, den Zusammenbau und die Bestandteile der Kristalle besser zu verstehen und zu manipulieren.“

Dadurch wollen die Wissenschaftler nicht nur die Evolution hinter den Kristallen aufdecken, sondern auch die „Montage“ von Proteinen manipulieren. Das könnte Anwendung finden bei der Gabe von Medikamenten und der Regulierung des Immunsystems. (PLOS Biology, 2018; doi: 10.1371/journal.pbio.2004920)

(PLOS, 25.04.2018 – YBR)

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