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Ökologie

Pestizide entpuppen sich als Froschkiller

Bis zu 100 Prozent Todesrate schon nach einmaliger Spritzmittel-Dusche

Das Bild zeigt einen Grasfrosch der Familie Ranidae. Aufgenommen wurde es nahe Ulm. © H. Kisp / CC-by-sa 3.0

Pflanzenschutzmittel sind giftiger als gedacht und ein echter Killer für Frösche und Kröten. Das belegt das Experiment eines deutsch-schweizerischen Forscherteams. Zwischen 40 und 100 Prozent der Tiere starben dabei, wenn sie den in der Landwirtschaft üblichen Spritz-Dosierungen ausgesetzt wurden. Diese Giftwirkung sei alarmierend – und wahrscheinlich eine bisher übersehene Ursache für das Amphibiensterben, warnen die Forscher im Fachmagazin „Scientific Records“. Es sei dringend nötig, zukünftig nicht nur die Toxizität dieser Mittel für Bienen und Säugetiere vor der Zulassung zu testen, sondern auch für die ohnehin stark bedrohten Amphibien.

Amphibien gelten als die am stärksten gefährdeten Wirbeltiere weltweit. Als mögliche Ursachen werden der Wettbewerb mit eingewanderten Arten, erhöhte UV-Strahlung, die globale Klimaerwärmung, ansteckende Krankheiten sowie der Verlust der Lebensräume diskutiert. Bisher kaum im Blick der Artenschützer sind dagegen Pestizide, wie die Forscher berichten. Man wisse zwar, dass Pflanzenschutzmittel Missbildungen und Entwicklungsstörungen bei Amphibienlarven hervorrufen können. Im Rahmen der Zulassungsverfahren getestet werden bisher aber nur deren Auswirkungen auf Biene, Vögel und Säugetiere sowie auf in Gewässern lebende Organismen. Welche Folgen die Spritzmittel aber für erwachsene Frösche und Kröten haben, sei bisher kaum untersucht.

„32 der 75 in Europa vorkommenden Amphibienarten leben nach Angaben der International Union for Conservation of Nature (IUCN) vorwiegend auf landwirtschaftlich genutzten Flächen“, schreiben die Forscher. Die nahezu auf allen Feldern eingesetzten Spritzmittel könnten daher eine ernsthafte Bedrohung für das Überleben dieser Frösche und Kröten sein. Hinzu kommt, dass die Haut der Amphibien extrem durchlässig für Wasser, Luft und viele chemische Verbindungen ist. Chemikalien werden deshalb von ihnen rund zwei Größenordnungen schneller über die Haut aufgenommen als bei Säugetieren.

Tödliche Dusche

Um herauszufinden, welche Wirkung Pestizide auf erwachsene Amphibien haben, untersuchten Brühl und seine Kollegen die Wirkung von sieben gängigen Mitteln – vier Fungiziden, zwei Unkrautvernichtungsmitteln und einem Insektizid – auf den Europäischen Grasfrosch (Rana temporaria). Sie setzten Jungfrösche jeweils drei unterschiedlichen Dosierungen der Spritzmittel aus: der auf der Packung empfohlenen Dosierung sowie einer zehnfach verdünnten und einer zehnfach stärkeren Spritzlösung.

Das Ergebnis: „Die akute Mortalität für die empfohlene Dosierung reichte von 100 Prozent Toten nach nur einer Stunde bis zu 40 Prozent nach sieben Tagen“, berichten die Forscher. Bei drei Produkten starben selbst bei der zehnfachen Verdünnung noch 40 Prozent der Tiere nach wenigen Tagen. Diese Effekte seien dabei nicht auf eine bestimmte Klasse der Pestizide beschränkt, sondern bei allen getesteten zu beobachten. Als giftigstes Spritzmittel im Test erwies sich ausgerechnet eines der am weitesten verbreiteten, das Fungizid „Headline“. Dieses wird zurzeit auf 90 verschiedenen Nutzpflanzen weltweit eingesetzt – von Weizen in Kanada bis zu Sojabohnen in Argentinien, wie die Wissenschaftler erklären.

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Erstaunliche Wissenslücke

Dass kommerziell verfügbare Pestizide bei gängiger Dosierung eine so hohe akute Mortalität bei Wirbeltieren verursachen, erstaunte selbst die Forscher. „Man sollte meinen, dass 50 Jahre nach Rachel Carsons Buch ‚Silent Spring‘ ausreichend Risikoabschätzungen und Testprozeduren existieren, um solche Effekte auszuschließen“, konstatieren Brühl und seine Kollegen. In „Silent Spring“ (Der stumme Frühling) warnte die Biologin Carson bereits Anfang der 1960er Jahre eindrücklich vor den Umweltfolgen von Pestiziden. Das Buch gilt als einer der wichtigsten Impulse für die Umweltbewegungen weltweit.

Nach Ansicht der Forscher zeigt ihre Studie nun deutlich, dass die Amphibien bei den geltenden Bestimmungen für die Risikotests von Pestiziden komplett durch das Rost fallen. „Zur Zeit sind weltweit mehrere tausend verschiedene Pestizidprodukte zugelassen und mehr als 2,3 Millionen Tonnen Spritzmittel pro Jahr werden auf den Landflächen der Erde ausgebracht“, sagen Brühl und seine Kollegen. Angesichts der jetzt festgestellten Giftigkeit dieser Mittel für Frösche und Kröten sei es naheliegend, dass die Rolle der Pestizide für das weltweite Amphibiensterben bisher gravierend unterschätzt worden sei.

Und noch eine Lücke zeigte sich im Rahmen der Tests: Bisher werden bei den Pestizidtests nur die Wirkstoffe auf ihre Giftigkeit hin geprüft, nicht aber das gesamte Mittel mitsamt aller Zusatzstoffe. Genau diese Stoffe, darunter vor allem das aus Erdöl hergestellte Lösungsmittel Naphta, aber erwiesen sich im Experiment als wichtiger Verstärker für die tödliche Wirkung: Während das Präparat Headline mit rund 67 Prozent Naphta-Gehalt alle Frösche nach nur einer Stunde tötete, sank die Mortalität bei einem Spritzmittel mit gleichem Wirkstoffgehalt aber nur einem Drittel so viel Naphta auf rund 20 Prozent ab, wie die Forscher berichten. Das zeige, dass auch die Zusatzstoffe eine wichtige Rolle für die Toxizität der Mittel spielten. (Scientific Records, 2013; doi: 10.1038/srep01135)

(Scientific Records, 25.01.2013 – NPO)

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