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Umwelt

Pestizid vergiftet Singvögel

Massensterben von Goldzeisigen nach Ausbringungen des Neonicotinoids Imidacloprid

Tote Goldzeisige
Tote Goldzeisige – diese Vögel starben nach einem ordnungsgemäßen Einsatz des Neonicotinoids Imidacloprid in Kalifornien. © Krysta Rogers

Unterschätzte Gefahr: Neonicotinoid-Pestizide könnten für Singvögel giftiger sein als bisher angenommen, wie ein Fall aus Kalifornien nun zeigt. Dort führte die sachgemäße Behandlung von Straßenbäumen mit dem Pestizid Imidacloprid zu einem abrupten Massensterben von Goldzeisigen. Die Vögel hatten die mit dem Pestizid getränkten Samen gefressen, die unter den Bäumen lagen – und sich daran vergiftet, wie nun eine Autopsie bestätigt hat.

Pestizide gelten als eine der Ursachen für den dramatischen Rückgang der Insekten, aber auch der Feld- und Singvögel. Unter Verdacht stehen dabei vor allem die Neonicotinoide, Wirkstoffe, die an Rezeptoren im Nervensystem der Insekten binden und diese dadurch töten. Drei dieser Wirkstoffe, darunter Imidacloprid, sind inzwischen in der EU wegen ihrer Schadwirkung auf Bienen im Freiland verboten. Für Wirbeltiere galten die Neonicotinoide dagegen bisher als wenig giftig.

Rätselhaftes Vogelsterben

Doch das ist offenbar ein Irrtum, wie nun ein Fall aus Kalifornien zeigt. Am Morgen des 16. März 2017 waren in der Stadt Modesto 76 Straßenbäume gegen Insektenbefall behandelt worden. Die Mitarbeiter des kommunalen Gartenamts mischten dazu das Neonicotinoid Imidacloprid der Packungsangabe folgend an und sprühten es an die Stammbasis der Ulmen – wie vom Hersteller vorgegeben.

Am Abend des gleichen Tages fanden die Anwohner der betroffenen Straßen zahlreiche tote Goldzeisige (Spinus tristis) am Fuß der Bäume. Die kleinen, nur rund zwölf Gramm schweren Singvögel waren teilweise am Boden tot umgefallen, andere schienen aus den Bäumen gefallen zu sein. Um der Ursache dieses plötzlichen Massensterbens auf den Grund zu gehen, sammelten Krysta Rogers vom kalifornischen Wildlife Investigations Laboratory und ihre Team 27 dieser toten Vögel ein und unterzogen sie einer Autopsie.

Todesursache Pestizid

Das Ergebnis: Die kleine Goldzeisige waren eindeutig weder an einer Krankheit noch an Entkräftung gestorben. „Alle Vögel waren in gutem körperlichen Zustand mit ausreichend Fettreserven und gut entwickelter Muskulatur“, berichten die Forscher. Stattdessen wurde offenbar der Hunger den kleinen Singvögeln zum Verhängnis. Denn fast alle Goldzeisige hatten kurz vor ihrem Tod noch von den Samen der Straßenbäume gefressen, wie Fragmente von Ulmensamen in ihrem Kropf und Magen belegten.

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Toxikologische Analysen bestätigten den Verdacht: „Eine Vergiftung mit Imidacloprid war die Todesursache für diese Goldzeisige“, berichten Rogers und ihre Kollegen. Sowohl im Kropfinhalt als auch in der Leber der Vögel hatten sie erhöhte Imidaclopridwerte zwischen 2,1 und 8,2 parts per million (ppm) gemessen. Für die kleinen Vögel sei diese Dosis bereits ausreichend, um schwere Vergiftungssymptome und auch den Tod zu verursachen, erklären die Forscher.

Giftwirkung auf Vögel unterschätzt

Nach Ansicht der Wissenschaftler verdeutlicht dieser Fall, dass die Giftwirkung von Neonicotinoiden wie Imidacloprid auf Singvögel bisher unterschätzt worden ist. Gerade kleine Vögel nehmen über Samen und bodenlebende Insekten sehr schnell krankmachende und auch tödliche Dosen dieser Pestizide auf – selbst wenn diese korrekt dosiert und richtig angewendet worden sind. „Die Mortalität beim hier untersuchten Ereignis unterstreicht ein bisher übersehenes Risiko bei der Tränkungsanwendung von Imidacloprid“, konstatieren Rogers und ihr Team.

Die Forscher empfehlen daher, Anwendungen dieses Pestizids zu minimieren – vor allem dann, wenn Bäume und andere behandelte Pflanzen Samen tragen. „Zudem sollte man Maßnahmen ergreifen, um kleine Tiere am Zugang der behandelten Areale zu hindern“, sagen sie. Generell aber plädieren sie dafür, statt des Pestizideinsatzes generell stärker auf vorbeugende, biologische Maßnahmen gegen Schädlinge zu setzen.

Mitverantwortlich für den Vogelschwund?

Bei uns in Europa ist der Freilandeinsatz von Imidacloprid zwar seit 2018 verboten. Doch der Verdacht liegt nahe, dass dieses zuvor häufig eingesetzte Mittel auch hierzulande eine Rolle beim Rückgang von Feld- und Singvögeln gespielt hat. Denn offenbar schaden diese Pestizide den Vögeln nicht nur indirekt, indem sie deren Insektennahrung rar werden lassen – sie können sie auch direkt vergiften.

Unklar ist allerdings noch, inwieweit auch andere Neonicotinoide ähnlich giftig für Singvögel und andere Kleintiere sind. Da viele dieser Mittel einen ähnlichen Wirkmechanismus besitzen, scheint dies zumindest nicht ausgeschlossen. Weitere Studien dazu werden sicher folgen müssen. (Environmental Toxicology and Chemistry, 2019; doi: 10.1002/etc.4473)

Quelle: Society of Environmental Toxicology and Chemistry

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