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Neurobiologie

Parkinson: „Störfeuer“ aus dem Gehirn lässt Kranke zittern

Ursache für Tremor aufgeklärt

Typisch für Parkinson-Kranke ist das Zittern. Bei dem Versuch den Mechanismus offenzulegen, der hinter diesem so genannten Tremor steckt, sind Wissenschaftler jetzt einen entscheidenden Schritt weitergekommen: In einer neuen Studie entdeckten sie, dass Nervenzellverbände in der Tiefe des Gehirns selbst das Zittern antreiben.

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Die von den Forschern in der Fachzeitschrift „Europhysics Letters“ vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass die Wissenschaftler um Professor Peter Tass vom Forschungszentrum Jülich auf dem richtigen Weg sind. Ihr neuer Hirnschrittmacher soll 2009 erstmals in großem Rahmen Parkinson-Patienten helfen.

Bei Menschen, die an Parkinson leiden, ist die Kommunikation zwischen Netzwerken von Nervenzellen gestört. Diese „feuern“ ihre Reize im gleichen Takt und verursachen damit das typische Zittern. Die Frequenz, die dabei gemessen wird, liegt bei fünf Hertz (Hz), also fünf Schwingungen pro Sekunde. In Deutschland gibt es offiziell etwa 150.000 Parkinson-Patienten. Schätzungen gehen aber sogar von bis zu 450.000 Betroffenen aus.

„Störfeuer“ nicht aus dem Gehirn…

Bisher nahmen Forscher an, dass der 5-Hz-Rhythmus in der Tiefe des Gehirns das Ergebnis von Nervensignalen ist, die von den Muskeln in den Gliedmaßen des Körpers zurück an das Gehirn gesandt werden. Die wissenschaftliche Bezeichnung für diese Rückmeldung lautet „propriozeptives Feedback“.

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Das „Störfeuer“, so die bisherige Meinung vieler Forscher, werde aber nicht vom Gehirn ausgesandt. Grund für diese Annahme war, dass die gemessene Frequenz des propriozeptiven Feedbacks und die in einem bestimmten Kernbereich des Gehirns im Thalamus und den Basalganglien nicht ganz synchron waren.

…oder doch?

Mit einer Kombination mehrerer moderner Analyseverfahren gelang dem Team um Tass jetzt der Nachweis, dass nicht nur die Nervensignale von den Muskeln als Rückmeldung den krankhaften 5 Hz-Rhythmus im Gehirn antreiben. Für die Messungen pflanzten Neurochirurgen in Köln um Professor Volker Sturm Patienten Elektroden ein, und Wissenschaftler im russischen Saratov berechneten zusammen mit den Jülicher Wissenschaftlern die gewonnenen Daten neu.

„Auch Signale im Frequenzbereich von fünf Hz aus dem Kernbereich des Gehirns treiben den Tremor an“, erläutert Tass. „Der Unterschied: Die Rückmeldung von den Gliedmaßen ist eine schnelle und einfache Reizweiterleitung. Die Signale aus Thalamus und Basalganglien werden jedoch in bestimmte schleifenförmig angeordnete Nervenbahnen des Gehirns und des Rückenmarks geleitet. Damit ist die Dynamik komplizierter und der Laufweg länger.“

Der Jülicher Mediziner, Mathematiker und Physiker sieht mit den neuen Erkenntnissen die theoretischen Grundlagen „seines“ Hirnschrittmachers bestätigt. Das Gerät wirkt auf die gestörten Nervenzellen im Kerngebiet des Gehirns und löst sie nachhaltig aus dem Zwang, im gleichen Takt zu „feuern“.

Takt gerät ins „Stolpern“

Tass‘ Neuentwicklung stört das zwanghafte Bestreben nach Gleichschritt mit sehr milden, gezielten und zeitlich versetzten Reizen an verschiedenen Stellen. Dadurch gerät der Takt ins „Stolpern“ und zerbricht. Im Unterschied zu den herkömmlichen Geräten dieser Art arbeitet der Jülicher Hirnschrittmacher deutlich schonender und braucht weniger Energie. Zudem wird das Nervengewebe so stimuliert, dass die Nervenzellen ihre krankhaft starken synaptischen Vernetzungen und damit ihr Bestreben, krankhafte Rhythmen auszubilden, verlernen können.

Der Schrittmacher besteht aus Elektroden, die gezielt an den fehlregulierenden Stellen im Gehirn platziert werden. Der so genannte Stimulator versorgt die Elektroden mit Energie und gibt ihnen Signale, die Nervenzellen im Hirn zu reizen. Unterhalb des Schlüsselbeins wird er unter der Haut eingepflanzt. Dünne Drähte verbinden ihn ebenfalls unter der Haut mit den Elektroden.

(idw – Forschungszentrum Jülich,, 17.07.2008 – DLO)

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