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Biologie

Ostsee: Erwärmung verändert Herings-Nachwuchs

Heringslarven schlüpfen früher und wachsen schneller als noch vor 20 Jahren

Heringslarven
Heringslarven entwickeln sich durch die Erwärmung der Ostsee heute schneller, das aber kann zur Entkopplung vom Nahrungsangebot führen. © Thünen-Institut/ Patrick Polte

Von der Wärme angetrieben: Die durch den Klimawandel zunehmenden Wassertemperaturen in der Ostsee verändern den Entwicklungszyklus von Heringslarven, wie Langzeitdaten nahelegen. Der Fischnachwuchs schlüpft immer früher und wächst schneller heran. Das aber führt zu einer Entkopplung vom Nahrungsangebot – und gefährdet letztlich das Überleben der Heringslarven. Für die Ostsee-Heringe bedeutet dies, dass ihre Bestände weniger gut nachwachsen als früher.

Lachs, Kabeljau und Co. sind nicht nur beliebte Speisefische, sondern vor allem ein wichtiger Teil des marinen Ökosystems. Jedoch machen es ihnen vor allem die durch den Klimawandel steigenden Wassertemperaturen weltweit zu schaffen: Sie behindern das Wachstum, fördern die Ausbreitung von Fischparasiten und lassen etwa spät wandernde Lachse aussterben. Zudem verlagern viele Fischarten ihr Verbreitungsgebiet weiter in den Norden,  Kabeljau-Larven könnten sich womöglich bald nur noch im Nordpolarmeer entwickeln.

Wie steht es um den Ostseehering?

Ob auch der Ostseehering (Clupea harengus membras) von den Folgen des Klimawandels betroffen ist, hat ein Forscherteam um Benjamin Weigel von der Universität Helsinki untersucht. Dabei interessierte die Wissenschaftler besonders, ob sich der Lebenszyklus der Heringslarven durch die steigenden Temperaturen verändert, da dies das Überleben der Art gefährden und das Verhalten tierischer Räuber im marinen Ökosystem beeinflussen kann.

Für ihre Studie werteten die Forscher Daten einer seit 20 Jahren laufenden Heringslarven-Erhebung aus, die in mehreren Gebieten entlang der finnischen Ostseeküste durchgeführt wurde und untersuchten die Entwicklungsstadien der Larven. „Normalerweise gibt es keine exakten Daten zum Schlüpfen der ersten Larven, also modellierten wir Veränderungen bei den Heringslarven in der Ostsee auf der Grundlage von Auftrittswahrscheinlichkeiten und relativen Häufigkeiten verschiedener Größenklassen von Fischlarven“, erklärt Weigel.

Rund acht Tage schnelleres Wachsen

Es zeigte sich: Die Entwicklungsstadien der Heringslarven in der Ostsee verschoben sich innerhalb des Beobachtungszeitraums auf einen früheren Zeitpunkt. Wie die Forscher feststellten, schlüpften erste Larven von einer Größe von unter zehn Millimetern mit hoher Wahrscheinlichkeit früher. „Zweitens steigt der Anteil der großen Ostseehering-Larven von über 15 Millimetern im Durchschnitt 7,7 Tage pro Jahrzehnt früher, was auf eine schnellere Entwicklung schließen lässt“, so Wiegel.

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Die damit insgesamt durch den Klimawandel beschleunigte Larvenentwicklung der Heringe führen die Wissenschaftler insbesondere auf zwei Ursachen zurück. „Die Wassertemperatur und die Menge an Chlorophyll a – einem Anzeiger für die als Nahrung genutzten Algen im Wasser – waren starke Treiber dieser Veränderung“, erklärt Weigel. Die wärmere Wassertemperatur beeinflusst dabei insbesondere das rund acht Tage schnellere Wachstum der großen Larven, so die Forscher.

Entkopplung von der Plankton-Nahrung

Das Problem dabei: Die frühere Entwicklung der Fischlarven kann zu einer Entkopplung der Nahrungsbeziehungen führen. Das bedeutet, dass die Larven früher reifen und in größeren Mengen auftreten als ihre Nahrung, das Meeresplankton. Einen ersten Hinweis auf eine solche Entkopplung fanden die Wissenschaftler, als sie die Überlebenschancen der größeren Heringslarven untersuchten. Vor allem wenn die Larvendichte in einem Meeresgebiet relativ hoch war, sank die Zahl der bis ins nächste Stadium Überlebenden bei den größeren Larven überproportional stark ab. Größere Larven sind demnach bei zunehmender Dichte besonders gefährdet.

„Eine Erklärung dafür könnte die temperaturabhängige Beuteverfügbarkeit während des Übergangs von kleinen Dottersacklarven zu mittelgroßen Larven sein, wenn die autonome Nahrungsaufnahme beginnt“, vermuten die Wissenschaftler. Denn ab einer Größe von etwa acht bis zwölf Millimetern beginnen die Heringslarven, sich selbstständig etwa von Algen zu ernähren.

Nachwuchssorgen auch in der deutschen Ostsee

Ähnliches beobachteten Wissenschaftler des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock in der deutschen Ostsee: Dort brachen die Bestände des Herings-Nachwuchses im letzten Jahr massiv ein. Und auch dort gab es deutliche Anzeichen für eine Entwicklungsverschiebung und Entkopplung vom Planktonangebot. „Damit wird klar, dass der Klimawandel bereits heute wirtschaftlich erhebliche Auswirkungen hat, nicht erst in 30 Jahren: Der Bestand ist nur noch halb so produktiv wie vor 30 Jahren“, erklärt Christopher Zimmermann, vom Thünen-Institut.

Zukünftig könnten die Folgen des Klimawandels auf die Entwicklung der Fischarten wie den Ostseehering weiter fortschreiten, spekulieren die Forscher. „Die Ergebnisse der Studie belegen Auswirkungen des Klimawandels auf das Ökosystem der Ostsee und eine seiner Schlüsselarten“, resümiert Meri Kallasvuo vom Natural Resources Institute Finland. Auf diese Veränderungen wird sich auch die Fischerei einstellen müssen. „Der Zustand der Fischbestände beeinflusst die Aussichten der Fischerei unter dem Klimawandel“, so Wiegel und seine Kollegen. (Marine Ecology Progress Series, 2021, doi: 10.3354/meps13676; Frontiers in Marine Science, 2021; doi: 10.3389/fmars.2021.589242)

Quelle: University of Helsinki, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei

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