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Biologie

Orang-Utans: Mehr Sex durch Tarnung als Weibchen

Forscher klären, warum fast alle Affenmännchen auf Sumatra Weibchen-ähnlich bleiben

Erwachsenes, als solches erkennbares Orang-Utan-Männchen im Zoo © Kabir Bakie / CC-by-sa 2.5

Lange war rätselhaft, warum fast alle Orang-Utan-Männchen auf Sumatra sich äußerlich als Weibchen tarnen – sie haben keine Wangenwülste und bleiben kleiner als normal. Jetzt haben Schweizer Forscher eine Erklärung dafür gefunden: Weil der einzige „Pascha“ der Region dank reichlich Nahrung genügend Zeit hat, seine Weibchen zu verteidigen, ist es für die anderen Männchen lohnender, sich zu tarnen und sich heimlich Paarungen mit den Weibchen zu erschleichen.

„Orang-Utans unterschieden sich von allen anderen Menschenaffen, denn ihre Männchen durchlaufen zwei verschiedene Entwicklungsstufen. Nach dem sie geschlechtsreif werden, durchleben sie zunächst eine Periode, in der sie klein bleiben und äußerlich eher Weibchen ähneln. In dieser Zeit ziehen diese „Wanderer“ umher und versuchen, sich eine Kopulation mit einem Weibchen zu erschleichen. Erst etwa ab dem 15. bis 20. Lebensjahr und meist auch nur, wenn sie ein eigenes Territorium errungen haben, bilden sich bei den Männchen die typischen sekundären Geschlechtsmerkmale wie Wangenwülste und Kehlsäcke aus. Erst jetzt sind sie eindeutig als Männchen zu erkennen.

Rätselhafter Stillstand im getarnten Zustand

Ungeklärt war bisher aber, warum einige Wanderer mehrere Jahre lang oder sogar während ihres ganzen Lebens auf dieser Entwicklungsstufe verharren, ohne dass der letzte Wachstumsschub einsetzt. Wie Lynda Dunkel und ihre Kollegen vom anthropologischen Institut und Museum der Universität Zürich nun nachweisen, spielt dafür offenbar die Umwelt und das Nahrungsangebot ihrer Umgebung eine wichtige Rolle. Ausganspunkt ihrer Studie war die Beobachtung, dass dieser Entwicklungsstillstand auf Sumatra öfter vor als auf Borneo, der anderen südostasiatischen Insel, auf der Orang-Utans noch beheimatet sind.

Auf Sumatra machten die Forschenden doppelt so viele kleine Männchen aus als ausgewachsene mit Wangenwülsten. Während der fünfjährigen Beobachtungsphase im Regenwald bildete nur ein einziges Männchen dort die sekundären Geschlechtsmerkmale aus. Dieses dominante Männchen die monopolisiert auch die sexuellen Beziehungen zu den Weibchen. Auf Borneo hingegen gibt es zwei Mal mehr Männchen mit Wangenwülsten als ohne. Diese streiten daher auch sich viel öfter um die Gunst der fortpflanzungsfähigen Weibchen. Aber warum?

Wilder Orang-Utan beim Hangeln auf Sumatra © gemeinfrei

Überfluss macht erschleichen leichter als kämpfen

Einen Grund fanden die Wissenschaftler, als sie das Nahrungsangebot in den beiden Regenwaldgebieten verglichen. Wie sich zeigte, finden die Orang-Utans auf Sumatra reichlich Futter und müssen daher nur wenig Zeit damit verbringen, nach Nahrung zu suchen. Das dominante Männchen hat daher genügend Muße, um seine Weibchen und sein Revier zu verteidigen. Andere Männchen mit Wangenwülsten vertreibt er, bevor sie sich mit einem Weibchen paaren können.

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Genau das könnte nach Ansicht von Dunkel und ihren Kollegen das rätselhafte Verharren der anderen Männchen im Wanderer-Status erklären: Sie haben mehr Chancen, sich als „getarnte“ Männchen eine Paarung zu erschleichen – selbst wenn sich 60 Prozent der solcherart überfallenen Weibchen zur Wehr setzen.

Auf Borneo dagegen herrscht weniger Überfluss in punkto Futter. Deshalb sind die dominanten Männchen häufig abgelenkt und können ihre Weibchen weniger gut verteidigen. Dort gibt es daher auch für kleinere Männchen die Chance, sich ein Revier und Weibchen zu erobern. Für sie lohnt es sicher daher eher, sich weiter zu entwickeln und zum voll ausgebildeten Männchen zu werden.

Dass das Nahrungsvorkommen im Wald sich so stark auf das Paarungsverhalten von Orang-Utans auswirkt, hat Dunkel überrascht. „Es zeigt, dass die Organisation dieser Menschenaffen – und vielleicht auch unserer Vorfahren – variabler ist, als wir bisher angenommen hatten. Anscheinend formt die natürliche Selektion nicht nur das Aussehen, sondern passt auch das Sozialverhalten an die lokalen Umweltbedingungen an“, sagt sie.

(Schweizerischer Nationalfonds SNF, 05.03.2013 – NPO)

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