Ein gesundes Ohr nimmt nicht nur Schall auf, es sendet auch selbst ganz leise Töne aus, als Reaktion auf das Gehörte. Entgegen bisherigen Annahmen verlassen diese Töne das Ohr jedoch nicht auf dem selben Weg, den die Schallwellen nehmen, wie eine neue Studie jetzt enthüllt. Diese in den „Proceedings of the National Academy of Sciences” veröffentlichte Erkenntnis könnte zum Verständnis von Schwerhörigkeit beitragen und bestätigt zudem eine vorherige, sehr kontrovers diskutierte Studie.
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Die Cochlea ist ein schneckenförmig gewundener Teil des Innenohres. In ihr findet das eigentliche Hören statt. Eine dünne Membran, die Basilarmembran teilt den flüssigkeitsgefüllten Innenraum der Schnecke in zwei Hälften. Eintretende Schallwellen laufen an der Basilarmembran entlang, bringen sie zum Schwingen und lösen letztlich ein Signal in den auf der Membran sitzenden Haarzellen des Innenohres aus. Während dieses Prozesses entstehen jedoch auch im Ohr selbst sehr leise Töne, die wiederum vom Innenohr nach außen dringen. Diese „Rückwärtswelle“ kann mit speziellen Geräten registriert werden und wird beispielsweise dazu genutzt, um festzustellen, ob Neugeborene hören können.
Ohrtöne wandern nicht entlang der Membran zurück
„Der bisherige Wissensstand darüber, wie otoakustische Emissionen das Ohr verlassen, war der, das es eine rückwärtslaufende Welle gibt, die die Cochlea auf die gleiche Weise passiert wie die vorwärtslaufende Schallwelle“, erklärt Karl Grosh, Professor für Biomechanik an der Universität von Michigan. Die neue Studie der Forscher der Universitäten von Michigan und Oregon zeigt nun jedoch, dass diese Vorstellung falsch ist.
In ihrem Experiment setzten die Wissenschaftler Laserinterferometer ein, um die verschiedenen Wellenbewegungen im Ohr und die Vibrationen der Basilarmembran bei Wüstenspringmäusen nachzuweisen. Dabei zeigte sich, dass die Schallwellen beim Eintreten in das Ohr entlang der Membran wandern, bei Zurückkehren aber keine Vibration der Membran erzeugten. Stattdessen, so die Schlussfolgerung der Forscher, müssen die ausgehenden Wellen durch die Flüssigkeit der Cochlearäume wandern.
Ohrtöne als Diagnosewerkzeug
„Unsere neue Methode kann noch Vibrationen von weniger als einem Picometer – tausendfach kleiner als der Durchmesser eines Atoms – registrieren“, so Tianying Ren, Professor an der Universität von Oregon. „Die neuen Daten demonstrieren, dass es an der Membran keine messbare Rückwärtswelle über einen breiten Frequenzbereich gibt. Diese Erkenntnis wird die Vorstellungen darüber verändern, wie sich Wellen in der Cochlea ausbreiten und wie die Cochlea Töne verarbeitet.“
Als nächsten Schritt wollen die Forscher Methoden entwickeln, mit denen sie anhand der zurückkommenden Ohrtöne herausfinden können, wo genau Hörschäden auftreten. „Wenn wir versuchen wollen, aus den Emissionen zu entnehmen, was mit dem Ohr falsch läuft, dann müssen wir aber erstmal verstehen, wie die Emissionen erzeugt werden“, so Grosh.
(University of Michigan, 14.02.2008 – NPO)