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Paläontologie

Vorläufer der Landwirbeltiere entdeckt

Rätsel-Fossil Palaeospondylus entpuppt sich als früher Verwandter der ersten Tetrapoden

Palaeospondylus
Der Urzeit-Fisch Palaeospondylus gunni ähnelte eher einer Kaulquappe oder einem Aal. Sein mittels Mikro-CT rekonstruierter Schädel (Bild) aber weist schon Merkmale von Tetrapoden-Vorläufern auf. © Tatsuya Hirasawa / RIKEN

Rätsel gelöst: Paläontologen haben einen neuen Vorfahren der Landwirbeltiere identifiziert – und ein seit 130 Jahren bestehendes Fossilrätsel gelöst. Denn bisher war unklar, worum es sich bei dem zahnlosen, kaulquappenähnlichen Wassertier Palaeospondylus handelte. Jetzt enthüllen Micro-Computertomografien, dass dieses vor 390 Millionen Jahren lebende Wesen schon ein Tetrapodomorph war – es gehörte zu der Fischgruppe, aus denen sich die ersten Landwirbeltiere entwickelten.

Vor knapp 400 Millionen Jahren eroberten die ersten Wirbeltiere das Land – und wurden zu den Vorfahren aller Landwirbeltiere einschließlich des Menschen. Durch wen dieser Meilenstein der Evolution erfolgte, ist allerdings unklar. Denn damals gab es gleich mehrere Vertreter der Fleischflosser (Sarcopterygii), die schon erste Anpassungen an das Landleben besaßen. Zu diesen sogenannten Tetrapodomorpha gehörte der noch sehr fischähnliche Tiktaalik, aber auch halbaquatische Wirbeltiere mit Beinen statt Flossen wie Acanthostega und Ichthyostega.

Mysteriöses Fossil

Jetzt haben Paläontologen einen weiteren Urahnen der Landwirbeltiere ausfindig gemacht: Palaeospondylus gunni, ein aalähnlicher, rund fünf Zentimeter langer Ur-Fisch, der vor rund 390 Millionen Jahren am Grund von Süßwasserseen lebte. Von diesem Wesen wurden tausende von Fossilien unter anderem in einem schottischen Steinbruch entdeckt. Doch seine exotischen Merkmale machten eine Einordnung in den Wirbeltierstammbaum bisher schwierig.

„Palaeospondylus gunni ist eines der rätselhaftesten fossilen Wirbeltiere überhaupt. Seine phylogenetische Position ist seit seiner Entdeckung im Jahr 1890 unklar geblieben“, erklären Tatsuya Hirasawa von der Universität Tokio und seine Kollegen. Hauptgrund dafür ist das völlige Fehlen von Zähnen, Teilen der Schädelknochen und von paarigen Brust- und Bauchflossen. Andererseits zeigen Teile des Skeletts aber durchaus Ähnlichkeiten mit den Fleischflossern.

Erster Blick in die Kopfanatomie

Um dem Geheimnis von Palaeospondylus auf die Spur zu kommen, haben Hirasawa und sein Team eines der Fossilien dieses Fischwesens nun einer genaueren Analyse mittels Mikro-Computertomografie unterzogen. Dafür wählten sie ein Exemplar, das noch in seiner schützenden Gesteinshülle steckte und dessen Kopf kaum verformt war. Um eine besonders hohe Auflösung der Strukturen zu ermöglichen, nutzte das Team die hochfokussierte und starke Strahlung eines Röntgen-Synchrotrons.

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Die Aufnahmen ermöglichte es den Paläontologen erstmals, die Form und Struktur der Schädelkomponenten von Palaeospondylus präzise abzubilden und zu untersuchen. Dies enthüllte zum einen, dass das Innenohr dieses Urzeit-Fischs bereits drei halbkreisförmige Kanälchen besaß – und damit ein Schlüsselmerkmal aller kiefertragenden Wirbeltiere. Obwohl Kiefer und Zähne weitgehend reduziert waren, war Palaeospondylus demnach trotzdem ein echter Fisch.

Palaeospondylus war schon ein Tetrapoden-Vorläufer

Noch wichtiger jedoch: In vielen seiner Merkmale ähnelt das Rätsel-Fossil den Vertretern wichtiger Bindeglieder der Tetrapoden-Evolution, wie vergleichende Analysen enthüllten. So gleicht die Schwanzflosse der von Acanthostega, einige seiner Schädelknochen ähneln denen von Tiktaalik und Panderichthys. „Die Schädelmorphologie von Palaeospondylus entspricht dem Morphotypus der Tetrapodomorpha-Schädel“, schreiben die Forschenden.

Auf Basis dieser Ergebnisse konnten Hirasawa und seine Kollegen das Rätselfossil erstmals im Stammbaum einordnen. Sie platzieren Palaeospondylus unmittelbar neben die Stammeslinie, aus der Tiktaalik, die halbaquatischen Tetrapoden Acathostega und Ichthyostega und später die ersten echten Landwirbeltiere hervorgegangen sind. Damit gehört dieses Fossil trotz seiner teils merkwürdigen und exotischen Eigenheiten zu den Tetrapodomorpha, den Tieren, die den Übergang der Wirbeltiere vom Wasser aufs Land vorbereiteten.

Larvenähnliche Merkmale bleiben mysteriös

„Rätselhaft bleibt allerdings, warum Palaeospondylus keine Zähne, keine Schädeldecke und paarige Flossen besaß“, räumen die Paläontologen ein. Ihre Ansicht nach gibt es zwei mögliche Erklärungen dafür. Die eine könnte sein, dass diese Urzeit-Fische diese Merkmale in Anpassung an ihre spezielle Lebensweise reduziert haben. Vermutlich saugten sie am Seegrund organisches Material ein und benötigten daher keine Zähne oder kräftigen Flossen.

Eine zweite Erklärung könnte sein, dass Palaeospondylus besonders lange oder vielleicht sogar dauerhaft im Larvenstadium verharrte. Dazu würde der larvenähnliche Bauplan noch ohne paarige Flossen und Zähne passen. „Die seltsame Morphologie von Palaeospondylus, die in mancher Hinsicht auch der von Tetrapoden-Jugendstadien ähnelt, ist daher auch aus entwicklungsgenetischer Sicht sehr spannend“, sagt Hirasawa.

Noch ist jedoch offen, welche Erklärung zutrifft. „Ob die Merkmale evolutionär verloren gegangen sind oder ob die Embryonalentwicklung bei den Fossilien auf halbem Wege stehen blieb, wird möglicherweise nie aufgeklärt“, so der Paläontologe weiter. Er und seine Kollegen vermuten aber, dass es gerade solche Variationen in der Ausbildung larvaler und adulter Merkmale waren, die den Vorfahren der Tetrapoden die „Erfindung“ ganz neuer Anpassungen wie beispielsweise der Beine erleichterten. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-022-04781-3)

Quelle: RIKEN, Australian National University

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