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Biologie

Neonicotinoide: Gefahr im Honigtau

Bisher unbekannter Expositionsweg mit umstrittenen Insektiziden aufgedeckt

Honigtau
Bienen laben sich an Honigtau von Mottenschildläusen, auch weiße Fliegen genannt. © Alejandro Tena

Unerkanntes Risiko: Nicht nur über kontaminierten Pollen und Nektar können sich Bienen und Co mit Neonicotinoiden vergiften. Auch Honigtau stellt offenbar eine Gefahr dar, wie eine Studie mit Schlupfwespen und Schwebfliegen zeigt. Das zuckerhaltige Ausscheidungsprodukt von Läusen ist eine wichtige Nahrungsquelle für viele nützliche Insekten. Kontaminierter Honigtau könnte für die Insektenwelt daher ein noch bedeutenderes Risiko sein als vergifteter Nektar, so das Fazit der Forscher.

Der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft gilt als eine mögliche Ursache für den Rückgang von Bienen und vielen anderen Insekten in unserer Natur: Insektizide wie die Neonicotinoide schaden erwiesenermaßen nicht nur den Schädlingen, die sie bekämpfen sollen, sondern auch Honigbienen, Hummeln, Wespen und Co. Denn sie kommen über kontaminierten Pollen und Nektar ebenfalls in Kontakt mit den Giften.

Einen weiteren, bislang kaum beachteten Expositionsweg haben nun Miguel Calvo-Agudo von der Universität Wageningen und seine Kollegen aufgedeckt: Honigtau. Diese zuckerhaltige Substanz wird zum Beispiel von Läusen und Zikaden ausgeschieden und stellt eine wichtige Nährstoffquelle für viele nützliche Insekten dar – darunter Bestäuber und natürliche Feinde von Schädlingsinsekten.

Wichtige Kohlenhydratquelle

„Honigtau ist die am weitesten verbreitete Kohlenhydratquelle für Insekten in Agroökosystemen“, erklären die Wissenschaftler. Aus diesem Grund fragten sie sich, ob auch diese Substanz eine mögliche Gefahr im Zusammenhang mit Neonicotinoiden darstellt. Um dies herauszufinden, sammelten Calvo-Agudo und sein Team Honigtau von Zitrusschmierläusen, die auf Zitronenbäumen leben.

Diese Bäume wurden für den Versuch entweder mit den gängigen Neonicotinoiden Thiamethoxam oder Imidacloprid behandelt oder mit Insektizid-freiem Wasser. Den Honigtau von den Bäumen verfütterten die Forscher anschließend an Schwebfliegen der Art Sphaerophoria rueppellii sowie an Schlupfwespen (Anagyrus pseudococci).

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Fatale Giftwirkung

Das erschreckende Ergebnis: Innerhalb von nur drei Tagen starb ein Großteil der Insekten, die sich von dem mit Thiamethoxam kontaminierten Honigtau ernährt hatten. Der Honigtau mit Imidacloprid schien dagegen hauptsächlich Schwebfliegen zu schaden – rund die Hälfte der Insekten dieser Art ging an dem vergifteten Futter zugrunde. Bei den Schwebfliegen und Wespen, die nicht kontaminierten Honigtau erhalten hatten, starben im selben Zeitraum dagegen nur wenige Tiere.

„Honigtau mit Thiamethoxam war hochtoxisch für beide Spezies von Nützlingen und Honigtau mit Imidacloprid war moderat toxisch für Schwebfliegen“, berichten die Wissenschaftler. Die unterschiedliche Giftigkeit beider Mittel erklären sie sich dabei über die unterschiedlichen Transportwege der Wirkstoffe innerhalb der Pflanze.

So wird Thiamethoxam vor allem über das Phloem transportiert, Imidacloprid hauptsächlich über das Xylem, beide Leitgewebe sind Teil der Wasser und Nährstoffe transportierenden Leitbündel der Pflanzen. „Da sich Läuse direkt aus den Siebröhren des Phloems ernähren, scheiden sie wahrscheinlich mehr Thiamethoxam mit ihrem Honigtau aus“, so das Team.

Viele Insektenarten betroffen

„Alles in allem liefern unsere Daten einen starken Beleg dafür, dass Honigtau ein möglicher Expositionsweg mit Insektiziden ist, der auch den nicht zu den Zielorganismen dieser Mittel zählenden Insekten schaden kann“, resümieren Calvo-Agudo und seine Kollegen. Dies sei vor allem deshalb von großer Bedeutung, da die Vergiftung über Honigtau vermutlich noch mehr Insektenarten betreffe als die über Nektar.

„Die Ergebnisse lenken den Blick auf eine für nützliche Insekten bedeutende Exposition durch Pestizide, die bisher nicht oder kaum beachtet wurde“, kommentiert der nicht an der Studie beteiligte Biologe Teja Tscharntke von der Universität Göttingen.

Biologische Schädlingsbekämpfung

In der Europäischen Union ist der Freilandeinsatz der Neonicotinoide Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin inzwischen zwar verboten worden. In Gewächshäusern dürfen die Gifte allerdings nach wie vor verwendet werden. Der nun identifizierte Expositionsweg könnte in diesem Zusammenhang beispielsweise bedeuten, dass eine biologische Schädlingsbekämpfung bei gleichzeitiger Anwendung von Neonicotinoiden zum Scheitern verurteilt ist.

„Mittlerweile gibt es zahlreiche Arten von Nützlingen zu kaufen, die erfolgreich gegen saugende Insekten wie Blattläuse, Schmierläuse oder die Weiße Fliege eingesetzt werden können – aber bei kontaminiertem Honigtau eine kurze Überlebenszeit haben sollten“, sagt Tscharntke.

Risiko auch durch andere Insektizide?

Der Experte befürchtet jedoch, dass auch außerhalb von Gewächshäusern Risiken drohen: „Da saugende Schädlinge und ihr Honigtau in Land- und Forstwirtschaft allgegenwärtig sind, lauert auch überall die Gefahr, dass diese Zuckerressourcen vergiftet sind. Die Gefahr besteht nicht nur bei den gerade von der EU verbotenen Neonicotinoiden, sondern auch bei anderen Insektiziden – und vermutlich auch bei Fungiziden, die insektizide Wirkungen haben können“, warnt er. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2019; doi: 10.1073/pnas.1904298116)

Quelle: PNAS

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