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Paläontologie

Neandertaler hatten starke Lungen

Brustkorb-Rekonstruktion deutet auf größeres Zwerchfell und größere Lungenkapazität hin

Diese Aufnahme aus der 3D-Rekonstruktion zeigt, wie beim Neandertaler die Rippen mit der Wirbelsäule verknüpft waren. © Gomez-Olivencia et al.

Thorax im Blick: Forscher haben rekonstruiert, wie der Brustkorb der Neandertaler ausgesehen haben könnte. Ihre Modellierung auf Basis von Knochenfunden zeigt: Der Thorax unserer Steinzeit-Cousins war im unteren Bereich deutlich breiter als bei modernen Menschen. Demnach verließen sich die Frühmenschen beim Atmen wahrscheinlich auf ein besonders großes Zwerchfell – und hatten womöglich eine größere Lungenkapazität als wir.

Als die ersten modernen Menschen in Europa auftauchten, lebten die Neandertaler dort schon seit über hunderttausend Jahren. Diese Steinzeit-Cousins des Homo sapiens waren mitnichten primitive Höhlenmenschen – das ist längst bekannt. Dank etlicher Funde können wir uns inzwischen ein ziemlich genaues Bild über den Alltag, aber auch das Aussehen unserer Vettern machen. Trotzdem liegen viele Details noch immer im Dunkeln.

Zu diesen ungelösten Neandertaler-Rätseln gehörte bisher auch die Anatomie ihres Brustkorbs: Hatten die Frühmenschen einen ähnlichen Thorax wie wir oder sah er womöglich anders aus? „Die Gestalt des Thorax ist der Schlüssel, um zu verstehen, wie sich die Neandertaler in ihrer Umwelt bewegten. Denn sie verrät uns, wie sie atmeten und ihre Balance hielten“, sagt Asier Gomez-Olivencia von der baskischen Stiftung für Wissenschaft in Bilbao.

Das Kebara-2-Skelett © J. Trueba/ Madrid Scientific Films

Virtuelle Rekonstruktion

Um der Anatomie dieser Struktur auf den Grund zu gehen, haben sich der Forscher und seine Kollegen nun dem besonders gut erhaltenen Kebara-2-Skelett gewidmet. Diese 59.000 bis 64.000 Jahre alten Überreste eines männlichen Neandertalers wurden 1983 in einer Höhle in Israel entdeckt – und beinhalten unter anderem Teile des Brustkorbs. Mithilfe von Computertomografie-Aufnahmen dieses Fundes rekonstruierte das Team am Computer, wie der Thorax unserer Vettern ausgesehen haben könnte. Das Ergebnis ist das erste virtuelle 3D-Modell eines Neandertaler-Brustkorbs.

Die Rekonstruktion zeigt: In Bezug auf die Größe ähnelte der Thorax aller Wahrscheinlichkeit nach dem moderner Menschen, seine Form allerdings unterschied sich deutlich. So fanden die Wissenschaftler zum einen Hinweise darauf, dass die Rippen anders mit der Wirbelsäule verknüpft waren als bei uns: „Das Neandertaler-Rückgrat lag weiter innen im Thorax. Das sorgte für eine aufrechtere Position und vermutlich mehr Stabilität“, berichtet Gomez-Olivencia.

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Größeres Zwerchfell?

Zum anderen offenbarten die Analysen: Der untere Teil des Brustkorbs hatte bei unseren Steinzeit-Cousins einen größeren Durchmesser. Dies deutet den Forschern zufolge darauf hin, dass auch die Oberfläche des Zwerchfells größer gewesen sein könnte und der Neandertaler eine größere Lungenkapazität hatte als der Homo sapiens.

„Der weite untere Thorax und die horizontale Anordnung der Rippen legen nahe, dass sich die Neandertaler beim Atmen vor allem auf die Kontraktion des Zwerchfells verließen. Moderne Menschen dagegen nutzen das Zwerchfell und die Ausdehnung des Brustkorbs dafür“, erläutert Mitautorin Ella Been. „Hier zeigt sich sehr schön, wie uns moderne Technologien neue Informationen über ausgestorbene Arten liefern können.“

Starke Lungen

Weitere Studien müssen den Wissenschaftlern zufolge nun zeigen, was diese neuen Erkenntnisse für unser Verständnis über das Leben der Neandertaler bedeuten: Für welche Aktivitäten benötigten sie derart starke Lungen? Und inwiefern könnte dieses anatomische Merkmal ihre Anpassungsfähigkeit – zum Beispiel an klimatische Veränderungen – beeinflusst haben?

„Neandertaler waren eng mit uns verwandt und legten ähnlich komplexe kulturelle Verhaltensweisen an den Tag wie moderne Menschen. Ihr Aussehen unterschied sich in einigen Punkten allerdings deutlich von uns. Diese Anpassungen zu verstehen, hilft uns schlussendlich auch, unsere eigene evolutionäre Geschichte besser zu begreifen“, schließt Mitautorin Patricia Kramer von der University of Washington in Seattle. (Nature Communications, 2018; doi: 10.1038/s41467-018-06803-z)

(University of Washington, 31.10.2018 – DAL)

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