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Biologie

„Nahrungsrätsel“ der Tiefsee geknackt

Abgeworfene Schleimnetze liefern organisches Material für Meeresboden-Bewohner

"Haus" der Larvaceen © MBARI

In der Tiefsee herrschen nicht nur hoher Druck und Dauerdunkel, sie bietet ihren Bewohnern auch nicht gerade reichlich Nahrung. Trotzdem leben auch in dieser scheinbar so lebensfeindlichen Welt zahlreiche Tierarten. Doch wovon leben sie? Genau diese Frage konnten jetzt amerikanische Wissenschaftler auf überraschende Weise beantworten.

Der Meeresbiologe Bruce Robison und seine Kollegen vom Monterey Bay Aquarium Forschungsinstitut (MBARI) untersuchten gezielt die Tiere, die vor der Küste Mittelkaliforniens am tiefen Meeresboden leben. Nach der Analyse von hunderten von Stunden Videoaufzeichnungen konnten die Forscher die so genannten „Sinkers“ als Nahrungsquelle identifizieren. Diese sind feine Schleimnetze, die von kleinen Tieren der mittleren Wassertiefen, den so genannten Larvaceen abgegeben werden. Die Ergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science veröffentlicht.

Rätsel Nahrung

Die Tiefsee wird von einer breiten Palette von schwimmenden, grabenden und kriechenden Tieren bewohnt. Da in dieser Tiefe jedoch keine Pflanzen wachsen, müssen die meisten Tiefseebewohner entweder ihresgleichen fressen oder aber sich von dem Material ernähren, dass von oben herabsinkt. Jahrzehntelange Messungen von Meeresbiologen ergaben aber, dass die Menge an benötigter Nahrung weitaus größer ist als die Menge des herabsinkenden Detritus. Was also fressen die Tiere?

Zwar gab es dazu mehrere Theorien, doch erst jetzt konnten die Wissenschaftler eine dieser rätselhaften Nahrungsquellen dingfest machen. Larvacea sind kleine, mit den Tunikaten oder Seescheiden verwandte Weichtiere, die sich von kleinsten organischen Teilchen im umgebenden Wasser ernähren.

Die am weitesten verbreitete Larvacee, die Riesen-Larvacea aus der Gattung Bathochordaeu, lebt im Inneren von zwei netzartigen Schleimfiltern, ihrem „Haus“. Der äußere Filter fängt gröbere Teilchen ein und kann bis zu einem Meter Breite erreichen. Der innere Filter ist dichter und dient dem „Fischen“ der Nahrung. Nach rund 24 Stunden „Dauerbetrieb“ setzen sich die Filter zu und die Larvacee verlässt ihr nunmehr funktionsunfähig gewordenes Haus um sich ein neues zu bauen. Die abgelegten Filter sinken zum Meeresgrund und tragen dabei ihre reiche Fracht an organischen Teilchen und kleinen Meerestieren mit sich.

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Herrenlose Schleimnetze

Der Biologe Bruce Robison entdeckte hunderte dieser herrenlosen Netze in Filmaufnahmen, die ferngesteuerte Tauchroboter vor der kalifornischen Küste gemacht hatten. Er erklärt: „Als mir klar wurde, dass die Sinker signifikante Nahrungsmengen in Form von organischen Kohlenstoff in die Tiefsee transportieren, fragten wir andere Meereskundler, ob sie diese Dinger auch in ihren Sedimentfallen gefunden hatten. Es zeigte sich, dass obwohl die Sinker sehr häufig sind, sie sich nur sehr selten in den Fallen verfangen. Zudem zerfallen sie oft bei Kontakt mit einem festen Objekt.“ Daher registrierten bisher die Forscher entweder gar keine Sinker oder aber fanden nur noch einen formlosen Schleimklumpen, den sie für eine Kontamination hielten und aussonderten.

Um herauszufinden, wie viel Kohlenstoff diese Sinker zum Meeresboden transportieren, erforschte Robison zunächst, wie häufig sie waren. Zehn Jahre lang führten die Forscher dazu eine monatliche „Volkszählung“ in zehn verschiedenen Wassertiefen durch. Sie zählten dabei an einem Tag durchschnittlich vier Sinker pro Quadratmeter – oder in anderen Worten: Auf einer Fläche der Größe eines Tellers landen im Jahr rund hundert Sinker.

Mehr als genug Kohlenstoff für alle

Doch wieviel Kohlenstoff transportiert so ein Sinker? Um das zu erfahren, setzten die Wissenschaftler ferngesteuerte Tauchroboter ein, die die schwebenden Schleimnetze einfingen – keine leichte Aufgabe. Zurück im Labor maßen die Forscher die Menge organischen Kohlenstoffs in jedem Sinker. Aus diesen Werten ermittelten sie, dass die Sinker fast so viel Kohlenstoff zum Meeresboden transportieren, wie der gesamte Detritus, der in Sedimentfallen gesammelt wurde. Damit hatten sie eine zusätzliche Nahrungsquelle der Tiefseebewohner gefunden, die mehr als ausreichend ist, um alle zu ernähren.

Diese Funde haben Bedeutung über die Meersbiologie hinaus, da sie auch wichtige neue Erkenntnisse für die Klimaforschung bringen. Denn die Meere sind Teil des globalen Kohlenstoffkreislaufs und daher ist es essenziell, zu wissen, wie viel Kohlenstoff innerhalb der Meere transportiert wird.

(Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI), 13.06.2005 – NPO)

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