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Genetik

Muskeln haben ein Gedächtnis

DNA-Anlagerungen speichern Erinnerung an früheres Wachstum

Unsere Muskeln "erinnern" sich an vergangene Wachstumsphasen. © Kristy Pargeter/ iStock.com

Unsere Muskeln „erinnern“ sich an früheres Wachstum: Sie wachsen stärker und schneller, wenn sie schon früher einmal gut trainiert waren. Warum, haben Forscher nun herausgefunden. Verantwortlich sind demnach DNA-Anlagerungen in den Muskelzellen, die die Genaktivität anhaltend verändern. Das bedeutet auch: Doping-Sünder könnten trotz Sperre dauerhaft von ihrer Manipulation profitieren, wie die Forscher im Fachmagazin „Scientific Reports“ berichten.

Ob beim Leistungssport, Joggen oder dem Training im Fitnessstudio: Jeder, der schon einmal Sport gemacht hat, weiß, wie anpassungsfähig unsere Muskeln sind. Werden sie regelmäßig beansprucht, wachsen sie und nehmen an Kraft zu. Sind sie dagegen ruhiggestellt – beispielsweise durch eine Sportpause oder Krankheit, dann schwindet die Muskelkraft rapide. Und sogar schon ein paar Tage des fettigen, ungesunden Essens können den Stoffwechsel unserer Muskelzellen aus der Bahn werfen.

Muskeltraining für die Wissenschaft

Doch was ist, wenn man nach einer Pause die Muskeln erneut trainiert? Beeinflussen dann vergangene Erfahrungen das Wachstumstempo und den Kraftgewinn der Muskeln? Bisher gab es auf diese Frage keine eindeutige Antwort. Ob Muskeln ein Gedächtnis haben und wie dieses beschaffen ist, blieb daher unklar – bis jetzt.

Britische Forscher um Robert Seaborne von der Keele University haben jetzt erstmals Belege für die Existenz eines echten Muskelgedächtnisses gefunden. Für ihre Studie ließen sie acht junge Männer zunächst sieben Wochen lang intensiv trainieren. Darauf folgte eine Pause von sieben Wochen und dann erneut ein siebenwöchiges Muskeltraining. In jeder der drei Phasen ermittelten die Forscher die Muskelmasse und Kraft der Probanden.

Doppelter Zuwachs

Wie erwartet machte sich das Training positiv bemerkbar: Die Beinmuskeln der Teilnehmer gewannen in den ersten sieben Wochen 6,5 Prozent an Masse und ihre Kraft stieg um 9,3 Prozent, wie die Forscher berichten. In der Bewegungspause ging beides wieder zurück, wenn auch nicht ganz bis auf den Ausgangszustand.

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Das Spannende aber folgte in der zweiten Trainingsphase: Obwohl auch sie nur sieben Wochen lang war, wuchsen die Muskeln der Probanden in dieser Zeit doppelt so stark. Sie legten zwölf Prozent an Masse zu und 18 Prozent an Kraft. Offensichtlich hinterlässt das frühere Training Spuren im Muskel, die ihn später zu verstärktem Wachstum motivieren. Der Muskel „erinnert“ sich demnach an seine früheren Erfahrungen.

DNA-Strang mit zwei an die DNA-Base Cytosin angelagerten Methylgruppen (hell) © Christoph Bock/ MPI für Informatik, CC-by-sa 3.0

Epigenetische Veränderungen

Aber wie? Um das herauszufinden, hatten die Wissenschaftler in allen drei Phasen Gewebeproben für die Analyse der Genaktivität, aber auch der epigenetischen DNA-Anlagerungen entnommen. Diese bestehen aus kleinen Molekülen, meist Methylgruppen. Dort, wo Gene auf diese Weise methyliert sind, können die Erbinformationen nicht abgelesen werden. Die Methylierung ist daher ein wichtiger Einflussfaktor für die Genaktivität.

Sitzt hier möglicherweise auch das „Gedächtnis“ der Muskeln? Genau dies enthüllte der Vergleich von mehr als 850.000 Bindungsstellen an der DNA. Die Forscher stellten fest, dass das erste Training große Teile der Muskelzell-DNA von den epigenetischen Anlagerungen befreite. Als Folge stieg auch die Genaktivität. Diese Veränderungen blieben während der Sportpause weitgehend erhalten und verstärkten sich dann in der zweiten Trainingsphase noch.

Anhaltende Genaktivierung

Dieser Effekt führt dazu, dass viele wachstumsfördernde Gene nach einer Trainingsphase dauerhaft aktiver bleiben. „Das Wichtige ist, dass diese Gene auch beim Muskelabbau freibleiben“, betont Seabornes Kollege Adam Sharples. „Wenn man dann später erneut trainiert, sorgen diese epigenetischen Veränderungen dafür, dass die Genaktivität und damit das Muskelwachstum noch stärker angekurbelt werden.“

Das aber bedeutet: Jede unserer Muskelzellen speichert vergangene Erfahrungen ab – und dies direkt am Erbgut. „Der Muskel hat ein epigenetisches Gedächtnis, durch das er sich an früheres Wachstum erinnert“, erklärt Sharples. Das Wissen um dieses Gedächtnis könnte bei der Reha-Behandlung nach Krankheiten oder Verletzungen helfen. Wenn man herausfindet, welche Trainingsprogramme das Muskelgedächtnis am besten aktivieren, dann könnte das die Wiederherstellung der Muskelkraft beschleunigen.

Vorteil für Doping-Sünder?

Noch wichtiger aber: Die neuen Erkenntnisse haben große Bedeutung für den Leistungssport – und den Umgang mit Dopingsündern. Denn bisher werden ertappte Sportler meist für einige Zeit gesperrt, können dann aber wieder an Wettkämpfen teilnehmen. Doch das Muskelgedächtnis legt nun nahe, dass Doping-Sünder selbst lange nach ihrer Doping-Phase noch von dessen Effekten profitieren könnten.

„Wenn ein Eliteathlet leistungssteigernde Wirkstoffe nimmt, um sein Muskelwachstum zu verstärken, dann behalten seine Muskeln dieses Wachstum im Gedächtnis“, erklärt Seaborne. „Kurze Sperren könnten daher nicht ausreichen: Selbst wenn die Sportler hinterher clean sind, behalten sie ihre durch das Doping erworbenen Vorteile möglicherweise bei.“ Hier seien dringend weitere Studien nötig, um dies zu prüfen. (Scientific Reports, 2018: doi: 10.1038/s41598-018-20287-3)

(Keele University, 01.02.2018 – NPO)

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