Ein Enzym, das eigentlich zur Müllabfuhr der Zelle gehört, sorgt dafür, dass Nervenzellen im Gehirn wachsen und komplexe Netzwerke bilden. Wie Forscher in der Zeitschrift „Neuron“ berichten, reguliert das Enzym eigentlich die Zerstörung von Eiweißbausteinen, fördert aber auch die Ausbildung der Dendriten, der wichtigen Verbindungen zwischen den Gehirnzellen.
Um Signale anderer Zellen empfangen zu können, bilden Nervenzellen Dendriten, komplizierte Fortsätze die Neuronen miteinander verbinden. Sie wachsen während der späten embryonalen und frühkindlichen Hirnentwicklung aus den 100 Milliarden Nervenzellen unseres Gehirns zu einem hochkomplexen Nervenzell-Netzwerk, das alle Körperfunktionen steuert – von der Atmung bis zu komplizierten Lernprozessen. Das Auswachsen der Dendriten wird von zahlreichen Signalprozessen kontrolliert. Sie steuern die Richtung und die Geschwindigkeit des Dendritenwachstums, indem sie den Aufbau des Zellskeletts beeinflussen, das im Inneren des auswachsenden Dendriten für dessen Form und Verlängerung verantwortlich ist.
Enzym markiert Proteinabfall…
Wie das Wachstum des Zellskeletts während der Dendritenentwicklung genau gesteuert wird, hat nun der Göttinger Hirnforscher Hiroshi Kawabe herausgefunden. Der japanische Gastwissenschaftler am Max- Planck-Institut für Experimentelle Medizin entdeckte an eigens entwickelten
genetisch veränderten Mäusen, dass das Enzym Nedd4-1 für ein normales Dendritenwachstum unverzichtbar ist. Nedd4-1 ist ein Enzym, das eigentlich den Abbau von Eiweißbausteinen in Zellen steuert, indem es sie mit einem anderen Eiweiß namens Ubiquitin verbindet. Derart ubiquitinierte Moleküle werden von der Zelle als „Abfall“ erkannt und abgebaut.
…und lässt Dendriten wachsen
In manchen Fällen jedoch führt die Ubiquitinierung nicht zum Abbau des markierten Proteins sondern verändert dessen Funktion. Kawabe wies nun nach, dass das Enzym Nedd4-1 ein als Rap2 bezeichnetes Signalprotein ubiquitiniert, und es so daran hindert, die Zerstückelung des Zellskeletts und den Zusammenbruch der Dendriten herbeizuführen.
„Solange Nedd4-1 aktiv ist, können die Nervenzelldendriten normal wachsen“, so Kawabe. „Fällt es aus, kommt das Dendritenwachstum zum Stillstand und einmal ausgebildete Dendriten fallen in sich zusammen, mit dramatischen Konsequenzen für die Funktion von Nervenzellnetzwerken im Gehirn.“ Allerdings gibt es wahrscheinlich noch eine Reihe parallel operierender Signalwege, die das Dendritenwachstum steuern. So lässt sich erklären, warum Nervenzellen auch ohne Nedd4-1 Dendriten ausbilden können – wenn auch deutlich weniger und kürzere. Der Nedd4/Rap2/TNIK-Mechanismus wäre dann nur einer von mehreren, die einander teilweise kompensieren können.
Kawabes Entdeckung liefert einen wichtigen neuen Einblick in die Mechanismen, die die Hirnentwicklung steuern. „Eigentlich ist es überraschend, dass das bisher noch niemand untersucht hat“, so der Biochemiker. Denn es ist schon lange bekannt, dass Nedd4-1 eines der am häufigsten vorkommenden Ubiquitinierungs-Enzyme in Nervenzellen ist und in der Wachstumsphase der Nervenzellen und Dendriten besonders häufig erzeugt wird. Kawabe berichtet, dass die Funktion von Nedd4-1 schon in dutzenden von Studien untersucht worden sei. „Aber Arbeiten über dessen Rolle in Nervenzellen gibt es keine, obwohl sie eigentlich so nahe liegend gewesen wären.“
(Max-Planck-Gesellschaft, 17.02.2010 – NPO)