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Zellbiologie

Mitochondrien: Doch nicht unabhängig vom Zellkern?

Genvergleich findet Hinweise auf eine Mutations-Selektion durch die Kern-DNA

Mitochondrien in Zelle
Die energieliefernden Mitochondrien galten bisher als komplett unabhängig vom Zellkern und dessen DNA – doch das ist offenbar ein Irrtum. © wir0man/ iStock.com

Subtiler Einfluss: Die Mitochondrien in unseren Zellen sind weniger unabhängig vom Zellkern-Erbgut als bislang gedacht. Denn langfristig halten sich in der mitochondrialen DNA vor allem die Mutationen, die für eine Angleichung an die Kern-DNA sorgen, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten. Das könnte auch Konsequenzen für den umstrittenen Einsatz von Spender-Mitochondrien bei Embryonen haben.

Etwa 0,1 Prozent unseres Erbguts sitzen nicht in den Zellkernen, sondern in der DNA der Mitochondrien – der Energieproduzenten der Zellen. Sie werden über die Eizelle an die Nachkommen weitergegeben und vererben sich daher nur über die mütterliche Linie. Nach gängiger Lehrmeinung wird die DNA der Mitochondrien damit von der Kern-DNA unabhängig weitergegeben und ist auch nicht von ihr beeinflusst.

Mutationen der Mitochondrien-DNA im Visier

Doch das ist offenbar ein Irrtum, wie nun Wei Wei von der University of Cambridge und seine Kollegen festgestellt haben. Für ihre Studie hatten sie das mitochondriale Erbgut von knapp 1.526 Müttern und ihren Kindern analysiert und verglichen. Im Fokus standen dabei Mutationen der Mitochondrien-DNA. „Wir wollten sehen, wie dies den Ursprung mitochondrialer Krankheiten erklären kann“, sagt Wei.

Wie die Forscher berichten, lag die Mutationsrate des Mitochondrien-Erbguts deutlich höher als die der Kern-DNA. Knapp die Hälfte der Versuchspersonen wiesen Mutationen auf, die mindestens ein Prozent ihrer mitochondrialen DNA betrafen. Nur ein Teil dieser Mutationen wird jedoch an die Nachkommen weitergegeben. „Sonst würde jede Generation von einer Zunahme an potenziell schädlichen Genvarianten begleitet werden“, so die Wissenschaftler.

Indizien für eine Selektion

Überraschend jedoch: Die mitochondrialen Mutationen werden offenbar nicht völlig zufällig vererbt. „Wir haben festgestellt, dass bei der Weitergabe der mitochondrialen DNA an die nächste Generation eine Selektion wirksam ist“, berichtet Wei. „Sie sorgt dafür, dass manche Mutationen weitervererbt, andere dagegen blockiert werden.“

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Besonders häufig werden demnach Mutationen vererbt, die es schon länger im weltweiten Genpool der Mitochondrien gibt. Komplett neue Mutationen dagegen werden nur selten weitergegeben, wie Wei und sein Team feststellten. Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass es eine Art Filter gibt – einen Mechanismus, der in die Weitergabe der Mutationen eingreift. Ihr Verdacht: Diese Selektion der Mutationsweitergabe könnte vom Zellkern beeinflusst werden.

Um das zu prüfen, verglichen Wei und sein Team die genetische Herkunft der Mitochondrien- und Kern-DNA ihrer gut 12.000 Testpersonen. Bei knapp 300 davon gab es Abweichungen: Stammt beispielsweise eine Vorfahrin aus Asien, kann ein Mensch zwar von seinem Zellkern-Erbgut und Habitus her Europäer sein, aber trotzdem Mitochondrien asiatischen Ursprungs tragen.

Subtiler Einfluss der Zellkern-DNA

Das Spannende jedoch: Bei den Testpersonen mit abweichender Herkunft von Kern- und Mitochondrien-DNA wurden bevorzugt die mitochondrialen Mutationen weitervererbt, die Ähnlichkeiten zur Kern-DNA besaßen. „Das deutet darauf hin, dass neu auftretende mitochondriale DNA-Varianten einer Selektion unterliegen, die sie der Kern-DNA angleicht“, berichten Wei und seine Kollegen.

Das aber bedeutet: Offenbar hat das Erbgut in unserem Zellkern durchaus einen Einfluss auf die Mitochondrien-DNA. Sie bestimmt, welche Mutationen der mitochondrialen DNA weitergegeben werden und welche nicht. „Diese Entdeckung zeigt uns, dass es eine subtile Verbindung zwischen den Mitochondrien und unseren Zellkernen gibt – und dass wir gerade erst beginnen, diese zu verstehen“, erklärt Co-Autor Patrick Chinnery von der University of Cambridge.

Folgen auch für Mitochondrien-Austausch

Dies wirft nicht nur ein neues Licht auf die Verknüpfung von Zellkern und den Kraftwerken der Zelle, es könnte auch Konsequenzen für den umstrittenen Austausch von Mitochondrien bei Embryonen haben. Dieses bisher noch experimentelle Verfahren soll bereits beim Embryo Krankheiten heilen, die durch schädliche Mutationen der mitochondrialen DNA entstehen. Dabei wird die Eizellhülle der Mutter mitsamt der krankhaft mutierten Mitochondrien entfernt und durch eine Spender-Eihülle ersetzt.

„Die neuen Ergebnisse sprechen dafür, dass dieser Austausch der Mitochondrien doch nicht so simpel ist wie ein Austauschen von Batterien in einem Elektrogerät“, sagt Chinnery. „Das könnte bedeuten, dass bei dieser Behandlung das Genom vom Zellkern der Empfänger und dem mitochondrialen Genom der Spender möglichst angepasst werden muss – ähnlich wie bei einer Organtransplantation.“ Geschieht dies nicht, könne das sonst möglicherweise zu späteren Gesundheitsproblemen der so erzeugten Kinder führen, warnt der Forscher. (Science, 2019; doi: 10.1126/science.aau6520)

Quelle: University of Cambridge

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