Wissenschaftler haben 150 Genvarianten identifiziert, die bestimmen, ob ein Mensch später zu den außergewöhnlich Langlebigen gehört oder nicht. Die Wahrscheinlichkeit, zu den Hundertjährigen zu zählen, ließe sich damit mit 77-prozentiger Genauigkeit vorhersagen. Mit Krankheiten assoziierte Genvarianten spielen dagegen keine entscheidende Rolle, wie eine jetzt in „Science“ veröffentlichte Studie an Hundertjährigen ergab.
Welche Faktoren bestimmen, wie alt wir werden? Zum einen Umwelt und Familiengeschichte, aber es sind auch die Gene, genauer Varianten bestimmter Gene, die eine wichtige Rolle spielen. Welche dies sind und wie sie wirken, das beginnt die Alternsforschung erst allmählich herauszufinden. Ein entscheidender Fortschritt in dieser Richtung ist jetzt einem Forscherteam der Boston University School of Public Health and Medicine und dem Boston Medical Center gelungen.
Genvergleiche mit 1.000 Hundertjährigen
Ausgehend von der Hypothese, dass ungewöhnlich langlebige Menschen Träger von mehreren Genvarianten sein müssen, die ihnen ihr langes und relativ gesundes Leben ermöglichen, führten die Wissenschaftler eine Genstudie an mehr als 1.000 Hundertjährigen durch. Bei diesen beginnen die normalen Alterserscheinungen meist ungewöhnlich spät, oft erst weit in den 90ern. Die Wissenschaftler verglichen bestimmte Genorte der Langlebigen mit denen „normal“ alternder Menschen. Mit Hilfe statistischer Methoden suchten die Forscher nach Korrelationen zwischen so genannten „Single Nucleotide Polymorphisms“ (SNPs) und der Langlebigkeit. SNPs sind Varianten einzelner Basenpaare in der DNA.
150 Genvarianten reichen zur Prognose
Die Analyse ergab, dass das Genom der Hundertjährigen 150 solcher DNA-Varianten enthielt, die offenbar eng mit der außergewöhnlichen Lebensdauer assoziiert waren. Zwar stießen die Forscher noch auf weitere SNPs mit diesem Zusammenhang, doch schon die 150 reichten aus, um vorhersagen zu können, ob das Genom von einem Hundertjährigen stammte oder nicht. Die Präsenz dieser Genvarianten könnte damit auch bei jüngeren Menschen gezielt dazu genutzt werden, um mit hoher Präzision vorherzusagen, ob ein Mensch 90 Jahre und älter wird.
„Diese genetischen Signaturen sind ein neuer Schritt in Richtung personalisierter Genomik und prädiktiver Medizin“, erklärt Thomas Perls, Leiter der New England Centenarian Study. Zusätzlich identifizierten die Wissenschaftler 19 genetische Signaturen, die bei 90 Prozent der Langlebigen vorhanden waren und die in enger Verbindung stehen mit dem Beginn von Alterserkrankungen wie Demenz und Bluthochdruck. Insgesamt fanden sich bei 45 Prozent der ältesten Probanden – Menschen von 110 und mehr Jahren – die höchsten Anzahlen der mit Langlebigkeit assoziierten Genvarianten.
Krankheits-Gene nicht entscheidend
Neben der Suche nach „Langlebigkeits-Sequenzen“ untersuchten die Wissenschaftler auch, inwieweit die Abwesenheit bestimmter Krankheitsgene eine Rolle spielte. Doch dem ist offenbar nicht so: Die Analyse ergab in diesem Aspekt keine signifikanten Unterschiede zwischen den Hundertjährigen und der Kontrollgruppe. Nach Ansicht der Forscher deutet dies darauf hin, dass die Präsenz der Langlebigkeitsgene wichtiger ist als die Abwesenheit von Krankheitsgenen.
„Die vorläufigen Daten deuten darauf hin, dass ungewöhnliche Langlebigkeit das Resultat einer Anreicherung von ‚Langlebigkeits‘-Varianten sein könnte, die die Wirkung der mit Krankheiten assoziierten Varianten aufheben und zudem die Morbidität und Behinderung gegen Ende dieser langen Leben unterdrücken“, erklärt Paola Sebastiani, Professor für Biostatistik an der School of Public Helath der Universität Boston.
Prognose mit 77-prozentiger Genauigkeit
Die Wissenschaftler stellen fest, dass eine bis zu 77-Prozent akkurate Vorhersage der Langlebigkeit mit den jetzt entdeckten Genvarianten möglich ist. Dies zeige, „dass genetische Daten tatsächlich außergewöhnliche Langlebigkeit prognostizieren können ohne dass andere Risikofaktoren bekannt sind.“
Sie fügen jedoch in ihrer Publikation hinzu: „Diese Vorhersage ist nicht perfekt. Und auch wenn sie mit besserer Kenntnis der Variationen im menschlichen Genom besser werden kann, bestätigen ihre Begrenzungen, dass Umweltfaktoren wie beispielsweise der Lebensstil auch in entscheidender Weise zur Fähigkeit des Menschen beiträgt, bis in ein hohes Alter zu überleben.“
(Boston University Medical Center, 05.07.2010 – NPO)