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Biologie

Mais macht Hamster zu Kannibalen

Eintönige Maiskost in Monokulturen führt zu Vitaminmangel und Verhaltensänderungen

Mais ist zwar nahrhaft, enthält aber kaum verwertbares Vitamin B3 - und das hat fatale Folgen. © Alexas Fotos/ Pixabay

Verhängnisvolle Eintönigkeit: Für Feldhamster kann das Leben in Mais-Monokulturen fatal enden. Denn die einseitige Maiskost verursacht einen Vitaminmangel, der ihr Verhalten komplett verändert. Hamsterweibchen verlieren dadurch ihren Mutterinstinkt und fressen ihre eigenen Jungen, wie Experimente nun belegen. Dieser fatale Effekt könnte ein Grund dafür sein, warum die Bestände der einst häufigen Feldhamster so drastisch eingebrochen sind.

Einst war der Europäische Feldhamster (Cricetus cricetus) auf unseren Feldern häufig, heute jedoch gehört er zu den bedrohten Arten in Europa. Frühere Erntezeiten, Monokulturen, fehlende Feldränder und der Pestizideinsatz machen es dem Hamster schwer, genügend Nahrung für sich und seine Jungen zu finden. Die Populationen des Nagers sind daher in den letzten Jahrzehnten drastisch geschrumpft.

Mais satt für Hamsterweibchen

Ob dies nur an einem Futtermangel liegt oder ob auch die Eintönigkeit der Nahrung eine Rolle spielt, haben nun Mathilde Tissier und ihre Kollegen von der Universität Straßburg näher untersucht. In ihren Experimenten fütterten die Forscher weibliche Hamster vom Aufwachen aus dem Winterschlaf bis zur Geburt ihrer Jungen mit beliebig viel Weizen oder Mais. Zusätzlich erhielten die Nager pro Tag entweder fünf Gramm Regenwürmer oder aber fünf Gramm Klee.

Alle Futtervarianten enthielten etwa gleich viele Nährstoffe und Kalorien. Nachdem die Jungen geboren waren, beobachteten die Forscher das Verhalten der Hamstermütter und wogen Mütter und Nachwuchs regelmäßig.

Kannibalismus statt Mutterliebe

Zunächst schien alles normal: Alle Weibchen gebaren etwa gleichviele Junge. Dann jedoch geschah Überraschendes: Statt sie im Nest zu säugen, ließen die mit Mais ernährten Hamstermütter ihre neugeborenen Jungen wahllos im Käfig verteilt liegen und kümmerten sich nicht um sie. Im Gegenteil: „Die Hamsterweibchen platzierten die Jungen auf ihrem angesammelten Haufen von Maiskörnern und fraßen sie dann auf“, berichten Tissier und ihre Kollegen.

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Feldhamster waren einst häufig, heute gehören sie zu den bedrohten Arten in Europa. © Agnieszka Szel&

Offensichtlich funktionierte der Mutterinstinkt bei den Hamsterweibchen nicht mehr. Statt ihre Jungen zu umsorgen, wurden die Mütter zu Kannibalen. Als Folge überlebte in der Maisgruppe nur zwölf Prozent des Nachwuchses, bei den mit Weizen gefütterten Hamstern waren es dagegen mehr als 80 Prozent – und das, obwohl beide Futtervarianten die gleichen Nährstoffwerte aufwiesen.

Hinweis aus der europäischen Geschichte

Was aber löste diesen Kannibalismus der Hamstermütter aus? Das seltsame Verhalten der Nager erinnerte die Forscher an ein aus der Geschichte bekanntes Phänomen: Zwischen 1735 und 1940 führte eine einseitig auf Mais und Hirse beruhende Ernährung in Nordamerika und Europa zu einer fatalen Mangelkrankheit. Diese sogenannte Pellagra führte zu Verdauungsstörungen, Hautveränderungen, aber auch psychischen Veränderungen bis hin zu Demenz und Kannibalismus.

Wie sich später herausstellte, war die Ursache dieses Syndroms ein Mangel an Vitamin B3 (Niacin) und seiner Vorstufe Tryptophan. Die Menschen wurden krank, weil Mais und Hirse kaum biologisch verwertbare Anteile dieses Vitamins enthalten. Könnte das ungewöhnliche Verhalten der mit Mais ernährten Hamsterweibchen ebenfalls auf eine Art Pellagra zurückgehen?

Verhaltensänderung durch Vitaminmangel

Um das zu klären, führten die Wissenschaftler ein zweites Experiment durch. In diesem erhielt die Hälfte der Hamsterweibchen das normale Maisfutter, die anderen Hälfte bekam zusätzlich eine tägliche Dosis Vitamin B3. Und tatsächlich: Die Hamstermütter, die regelmäßig Vitamin B3 bekommen hatten, verhielten sich nach der Geburt ihrer Jungen völlig normal. Die Hamster ohne zusätzliche Vitamingabe jedoch fraßen ihren Nachwuchs wieder auf.

Mais-Monokulturen prägen in vielen Regionen Europas die Landschaft - für die Hamster bedeutet dies eintönige Maiskkost. © Foto Rabe/ Pixabay

„Dies ist die erste Studie, die einen so starken negativen Effekt von maisbasierter Ernährung und Vitamin B3-Mangel auf ein so überlebenswichtiges Merkmal wie die Fortpflanzung enthüllt“, konstatieren die Forscher. „Diese Ergebnisse belegen, dass Mais ein ungeeignetes Futter für diese Tierart während der Reproduktion ist.“

Keine andere Wahl

Doch angesichts der Mais-Monokulturen in vielen Regionen bleibt den Hamstern gar nichts anderes übrig als vorwiegend Mais zu fressen. Genau dies könnte nach Ansicht der Wissenschaftler gut erklären, warum die Hamster-Populationen in den letzten Jahrzehnten so rapide eingebrochen sind. Allein in Frankreich seien die Hamsterbestände um 94 Prozent zurückgegangen, gleichzeitig seien die meisten Populationen dort von Maisfeldern umgeben, die siebenfach größer sind als der typische Futtersammelradius eines Hamsters.

„Es ist daher dringend nötig, wieder eine größere Pflanzenvielfalt in landwirtschaftliche Anbaupläne einzuführen“, betonen Tissier und ihre Kollegen. „Nur so können wir sicherstellen, dass Feldtiere Zugang zu einer ausreichend vielseitigen Nahrung bekommen.“ (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2017; doi: 10.1098/rspb.2016.2168)

(Royal Society, 18.01.2017 – NPO)

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