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Biologie

Leben im Meer folgt mathematischem Gesetz

Eine Formel beschreibt die Häufigkeit aller Meeresbewohner vom Bakterium bis zum Wal

Fische
Wie viele Meeresbewohner einer Größenklasse es gibt, ist nicht zufällig, sondern gehorcht einer mathematischen Gesetzmäßigkeit.© Placebo365/ Getty images

Mysteriöse Gesetzmäßigkeit: Forscher haben erstmals bestätigt, dass alle Meeresbewohner einem mathematischen Gesetz gehorchen – verzehnfacht sich die Körpermasse einer Klasse, nimmt deren Organismenzahl etwa um den Faktor zehn ab. Daraus ergibt sich eine verblüffend gleichmäßige Verteilung, in der alle Größenklassen jeweils gleich viel Biomasse auf die globale Waage bringen – von winzigen Bakterien bis zu riesigen Blauwalen. Die Studie enthüllt aber auch, dass der Mensch diese Balance bereits messbar verändert hat.

Im Jahr 1972 veröffentlichten US-Forscher Ergebnisse einer Plankton-Studie, die für Aufsehen sorgte. Denn sie legte nahe, dass die Häufigkeiten und Größen von Meerestieren keineswegs zufällig verteilt sind, sondern einem mathematischen Gesetz folgen. Nach dieser Sheldonschen Größenspektrum-Theorie enthält jede Größenklasse von Organismen global gesehen ungefähr gleichviel Biomasse.

Möglich wird dies, weil jede zehnfache Zunahme des Körpergewichts mit einer Verringerung der Organismenzahl in dieser Gewichtsklasse verknüpft ist. Umgekehrt kommen alle Fische zwischen zehn Gramm und 100 Gramm Körpergewicht demnach rund zehnmal häufiger vor als Fische zwischen 101 und 1.000 Gramm.

„Volkszählung“ der Meeresbewohner vom Bakterium bis zum Wal

Diese Gesetzmäßigkeit wurde auf regionaler Ebene und im Vergleich weniger Größenklassen schon mehrfach bestätigt. „Aber trotz der fast 50 Jahre an empirischen und theoretischen Arbeiten wurde seine Gültigkeit noch nie auf globaler Ebene und für alle 23 Größenklassen des marinen Lebens überprüft“, erklären Ian Hatton vom Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften in Leipzig und seine Kollegen.

Genau diese Überprüfung haben die Forscher nun nachgeholt. Dafür ermittelten sie die Häufigkeitsverteilung von zwölf Hautgruppen von Wasserorganismen über alle Größenordnungen hinweg – von Bakterien bis zu den größten Walen. Um auch räumliche Schwankungen berücksichtigen zu können, teilten sie die Weltmeere in 33.000 Gitterpunkte von jeweils einem Grad ein. „Es war eine Herausforderung, diese Messungen über einen so großen Maßstab hinweg angemessen zu vergleichen“, sagt Hatton.

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Um auch die Organismenverteilung in den weitgehend unberührten Meeren des präindustriellen Zeitalters um 1850 erfassen zu können, wertete das Forschungsteam auch historische Daten aus und rekonstruierte die räumliche Verteilung mithilfe eines Modells.

Größenklassen-Spektrum
Größenklassen-Spektrum bestätigt: Verteilung von Häufigkeit und Körpermasse der Organismen im Ozean.© Ian Hatton

Eine Formel für alle

Das Ergebnis: In unberührten Ozeanen folgen die Organismen tatsächlich der mathematischen Formel des Sheldonschen Größenspektrums. In jeder der 23 Größenklassen liegt die globale Biomasse bei rund einer Gigatonne. Für jede Zunahme der Körpermasse um das Zehnfache sinkt die Zahl der Individuen in dieser Klasse auf etwa ein Zehntel. Die Anzahl ist also in etwa proportional zum Kehrwert der Körpermasse. Leichte Abweichungen stellten die Forscher nur an den extremen Rändern dieser Verteilung fest: Bakterien sind ein wenig zahlreicher als sie sein dürften, große Wale dagegen ein wenig zu selten.

Dennoch bestätigen die Resultate, dass die marine Lebenswelt tatsächlich dieser vor knapp 50 Jahren postulierten Gesetzmäßigkeit folgt. „Es ist wirklich bemerkenswert, dass das marine Leben so gleichmäßig über die Größenklassen verteilt ist“, sagt Seniorautor Eric Galbraith von der McGill University in Montreal. „Wir haben keine Ahnung, warum das so ist. Warum können kleine Organismen nicht mehr Biomasse haben als große? Oder warum gibt es keine Idealgröße, die einen besonders hohen Biomasseanteil einnimmt? In dieser Hinsicht unterstreichen die Ergebnisse, wie wenig wir über die Ökosysteme wissen.“

Eingriffe
Eingriffe des Menschen haben das Größenklassen-Spektrum verändert.© Ian Hatton

Mensch hat die Verteilung verschoben

Die Analysen enthüllten aber auch: Die einst im gesamten Ozean gültige Gesetzmäßigkeit ist inzwischen messbar gestört. Menschliche Eingriffe in Form von Walfang und Fischerei haben das ausgewogene Verhältnis der Größenklassen im Meer verändert. Dadurch ist das obere Drittel der schwersten Meeresbewohner signifikant ausgedünnt, wie Hatton und seine Kollegen ermittelten. Diese Abweichung zeigt sich schon bei Fischen ab einer Masse von zehn Gramm aufwärts und ist besonders deutlich bei den Walen.

Den Daten zufolge ist die Biomasse von großen Fischen und Meeressäugern wie Delfine um rund zwei Gigatonen zurückgegangen – dies entspricht einem Rückgang von 60 Prozent gegenüber den Werten des Sheldonschen Größenspektrums. Bei den größeren Walarten hat sich die Biomasse sogar um 90 Prozent gegenüber dem ursprünglichen Anteil verringert. „Der Mensch ist demnach nicht nur einfach zum Top-Prädator der Meere geworden, er hat auch den gesamten Fluss der Energie durch das marine Ökosystem vollkommen verändert“, sagt Galbraith.

Fundamentale Muster des Lebens verändert

Damit demonstrieren diese Ergebnisse, dass der massive Einfluss des Menschen auf die Meeresumwelt sogar fundamentale Muster des Lebens im Meer verändert hat. „Der Mensch hat den Ozean auf dramatischere Weise beeinflusst als nur einfach den Fischfang“, sagt Koautor Ryan Heneghan von der Autonomen Universität Barcelona. „Wir haben offenbar das Größenspektrum gebrochen – eines der größten Potenzgesetze der Natur.“ (Science Advances, 2021; doi: 10.1126/sciadv.abh3732)

Quelle: McGill University, Universitat Autònoma de Barcelona, Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften

Anmerkung: In ener früheren Fassung waren im Vorspann falsche Zahlen angegeben.

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