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Genetik

„Künstlerische Freiheit“ der Evolution enträtselt

Regulator-Gene ermöglichen Veränderungen ohne umfangreiche Mutationen

Der Unterschied zwischen erfolgreicher Werbung und Singledasein liegt in den Flügeln – zumindest bei Fruchtfliegen. Will das Männchen punkten, muss es seine Flügelmuster am rechten Fleck haben. Jetzt haben Wissenschaftler die dafür zuständigen DNA-Sequenzen identifiziert und dabei überraschend entdeckt, wie die Evolution vorhandene Ressourcen effektiv einsetzt und nach Bedarf umwandelt. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Nature erschienen.

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„Der Flügelfleck der Fruchtfliege ist ein besonders gutes Modell, weil wir wissen, dass es eine neue Eigenschaft ist, die im Laufe der Evolution bei verschiedenen Arten aufgetaucht oder aber verschwunden ist“, erklärt Sean Carroll vom Howard Hughes Medical Institute. „Und da es ein räumliches Muster ist, gibt es uns die Chance, die Evolution einer physischen Eigenschaft zu untersuchen. Diese sind komplizierter als physiologische Eigenschaften. Evolutionsforscher wollen verstehen, wie selbst komplexe Teile der Anatomie wie ein Flügel oder das Komplexauge – im Laufe der Evolution entstanden sind.”

In ihrer Studie ordneten die Wissenschaftler zunächst 77 Fruchtfliegenarten zu einem Familienstammbaum und verglichen, welche Arten Flügelflecke neu entwickelten oder aber im Gegensatz zu ihren Vorfahren reduziert hatten. Gleichzeitig analysierten die Forscher die genetischen Mechanismen, die diese Flecken in zwei Arten unabhängig voneinander entstehen ließen, in zwei anderen aber verschwinden. Schnell engte sich das Feld auf bestimmte DNA-Segmente ein, auf die so genannten cis-regulatorischen Elemente (CRE). Sie liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zu proteinkodierenden Genen und beeinflussen deren Aktivität. Dadurch kann ein und dieselbe Genfunktion in unterschiedliche Geweben und Arten variieren.

Regulatoren-Gene als Motor der Veränderung

In früheren Untersuchungen hatten die Forscher um Carroll bereits gezeigt, dass ein Regulatorgen für das so genannte „Yellow-Gen“ eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der Flügelflecken spielt. Jetzt zeigten die Vergleiche, dass der Erwerb und Verlust der Flecken bei allen Arten tatsächlich mit der Funktion dieses Regulatorgens zusammenhängt. Doch die eigentliche Überraschung zeigte sich, als die Forscher den Neuerwerb der Flecken bei zwei Arten studierten.

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“Die große Sensation war, dass die beiden unabhängig voneinander entwickelten Flecken beide durch Mutationen in den Regulatorgenen der Vorfahren entstanden waren“, so Carroll. „Aber im Vorfahren kontrollierte eines dieser CREs die Aktivität des Yellow-Gens im Flügel und eines in der Flügelvene. Und das zeigt, dass das Flügelmuster nicht aus dem Nichts entstand. Die Fliege nutze nicht DNA, die ohnehin keinen Job hatte, sondern eine, die schon aktiv war und eine Struktur formte und wandelte diese um.“

Künstlerische Freiheit der Evolution dank CREs

Nach Ansicht der Froscher ist dies ein wichtiger Hinweis darauf, wie die Natur neue Strukturen „erfindet“ – indem sie Material nutzt, das schon verfügbar ist. „Das zeigt, dass die Natur ein Bastler ist“, so Carrroll. Und eine Schlüsselrolle zu dieser effektiven Art der Veränderungen ist die so genannte Pleiotrophie – die Tatsache, dass ein und dasselbe Gen in verschiedenen Körperregionen für bestimmte Eigenschaften eingesetzt wird. Kontrolliert wird die Aktivität dieser Gene aber immer durch jeweils unabhängig voneinander aktive Regulatoren.

„Der Körper der Fliege hat zum Beispiel pigmentierte Borsten, Mundwerkzeuge, Thorax und Hinterleib, alle diese Sturkuren werden getrennt voneinander kontrolliert, daher kann das gleiche Gen für alle di4ese Teile eingesetzt werden“, erklärt der Wissenschaftler. „Daher gibt diese Pleiotrophie der Evolution die künstlerische Freiheit mit den regulatorischen Elementen in bestimmten Regionen zu spielen, ohne Mutationen machen zu müssen, die das Gen im ganzen Körper beeinflussen würden.”

Für die Wissenschaftler ermöglichen diese und ähnliche Studien neue Einblicke in die Mechanismen der Evolution: “Jetzt finden Forscher die ‘rauchenden Colts’ der Evolution indem sie spezifische evolutionäre Veränderungen auf DNA-Niveau dokumentieren können”, so Carroll. „Studien von Phänomenen wie den Flügelflecken der Fruchtfliegen zeigen, dass die Evolution kein einmaliger Prozess ist. Sie wiederholt sich selbst wieder und wieder. Sie demonstrieren auch, dass es mehr als eine Art gibt, mit ein und demselben Gen herumzubasteln und so Eigenschaften zu entwickeln.“

(Howard Hughes Medical Institute, 20.04.2006 – NPO)

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